Vor acht Monaten starb der Kremlgegner Alexej Nawalny im Straflager. Trotz Folter in Haft verfasste er seine Autobiografie. Das Buch erschüttert den Leser.

Als eine Art Vermächtnis ihres Mannes Alexej sieht Julia Nawalnaja die Autobiografie „Patriot“ des über viele Jahre wichtigsten Oppositionellen in Russland. Das Buch erscheint zwar nicht in Russland, aber auf Russisch und in 19 weiteren Sprachen, darunter auf Deutsch (Verlag S. Fischer). Es sei ein wichtiges Zeugnis vom Mut des schärfsten Gegners von Kremlchef Wladimir Putin und vom Glauben an eine bessere Zukunft Russlands, sagt die 48-Jährige. Sie hat das mehr als 500 Seiten dicke Werk mit vielen Fotos der Familie und der politischen Auftritte selbst nach dem Tod Nawalnys fertiggestellt.

Nawalnaja unterstreicht, was auch Lesern rasch auffällt: Dass Alexej Nawalny auch in den dunkelsten Stunden der Haft – trotz Folter und Krankheit – nie seinen Humor und Optimismus verlor. Wer Nawalnys politische Karriere verfolgt hat, kennt viele Stationen des Buches. Und er kennt auch die beißend scharfe Kritik des Oppositionsführers – bei öffentlichen Auftritten vor Tausenden Demonstranten, in seinen Sendungen im Internet oder vor Gericht.

Er gibt aber in der Gesamtschau auf sein Leben auch sehr intime Einblicke. Eindrücke vom Schicksal eines Mannes, der wie kein anderer mit unzähligen Enthüllungen ein mafioses System unter Putin anprangerte, aber auch von der Liebe zu seiner Frau Julia und seinen Kindern Dascha und Sachar getragen wurde. Nawalnaja selbst sagt in einem Clip bei Instagram, sie habe immer wieder lachen und weinen müssen, als sie seine begonnene Arbeit an dem Buch beendete.

Nawalny erzählt, wie er als Kind eines Offiziers in der zerfallenden Sowjetunion über das Jurastudium und die Arbeit als Anwalt zum bedeutendsten Kämpfer gegen Korruption in dem Riesenreich wurde. Die Biografie ist nicht nur ein unterhaltsames Zeugnis, wie ein politisch sehr wacher Mensch Zeitgeschichte erlebte. Der Leser erfährt auch von Jugendsünden und Nawalnys Versuch, mit einer umstrittenen Zusammenarbeit mit Rechtsextremen Front zu machen gegen den Kreml.

Über weite Strecken ist das Buch auch ein Nachschlagewerk, wie politische Graswurzelarbeit weitab westlicher Vorstellungen in einem autoritären System funktioniert – oder eben nicht. Der mit internationalen Preisen ausgezeichnete Nawalny schaffte es, ein breites politisches Netzwerk aufzubauen, mit seiner Anti-Korruptions-Stiftung die Mächtigen bloßzustellen, bis Putins Apparat immer stärker zur Gegenwehr überging. Nawalny schildert auch die zahlreichen Angriffe auf ihn, die mit dem Giftanschlag mit dem Nervengift Nowitschok 2020 in Sibirien ihren Höhepunkt erreichten.

Der Kremlgegner überlebte damals nur knapp. Er erschüttert seine Leser mit Details zum Todeskampf im Flugzeug und lässt sie dann auf der Zeitreise aufatmen, als er in der Charité in Berlin – viel langsamer als in einem Hollywood-Film – aus dem Koma erwacht. Er erlernt wieder das Leben und bekommt am Tag der Entlassung auch Besuch von Kanzlerin Angela Merkel. Der weltweit beachtete Kriminalfall, den der Machtapparat in Moskau nie untersuchen wollte, war letztlich auch der Auslöser für das Buchprojekt.

Nawalny antwortet ausführlich auf die immer wieder gestellte Frage, warum er trotz drohender Inhaftierung und Todesgefahr von Berlin nach Moskau zurückgeflogen sei. Nur so könne er glaubhaft in seiner Liebe zu Russland sein. Alles andere wäre Verrat. Seine Biografie beleuchtet nicht zuletzt den schwierigen Balanceakt, für politische Überzeugungen Familienglück und das eigene Leben zu opfern.

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