Ist die FDP zu rückwärtsgewandt oder dient sie sich zu sehr dem Zeitgeist an? Das Konzept aus alten Inhalten und jugendlichem Image stößt jedenfalls an seine Grenzen.
Viel gibt es nicht, was auf dem Bundesparteitag in Berlin noch an die alte FDP erinnert. An die Partei von Dietrich Genscher, Gerhard Baum und Klaus Kinkel. Sogar die Farbe Blau muss als traditionelle Ergänzung zum Gelb immer mehr einem grellen Pink weichen.
In einer der hintersten Reihen des Sitzungssaals findet man noch den ehemaligen Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle. Auf der Bühne beschwert sich Wolfgang Kubicki darüber, dass ein Reporterteam der “heute show” des ZDF ihn gefragt habe, ob er sich nicht zu alt fühle. Ein Generationenwechsel vollzieht sich und zumindest farblich erinnert er dabei ein wenig an deutsche Quizshows aus den 70er-Jahren.
Wer die große Veranstaltungshalle am Gleisdreieckpark zwischen Kreuzberg und Schöneberg betritt, wähnt sich für einen Moment sogar bei Fridays for Future oder Greenpeace. Das ist gewollt. Eine pfiffige Werbeagentur wurde beauftragt, riesige Aktions-Sticker im Stile von Atomkraft-Nein-Danke-Aufklebern an der Fassade anzubringen. Auf einem sprengt ein E-Fuel-Schriftzug eine Kette. Auf anderen sind Wachstumssprüche zu lesen wie “Let’s grow” oder Wortspiele mit Künstlicher Intelligenz.
Im Innern des Gebäudes, auf dem “Markt der Möglichkeiten” in der großen Vorhalle, werben Verbände der Solar-, Wasserstoff und Biomethan-Industrie für eine grüne Zukunft. Auch die Lobbyisten der Geflügelzüchter, des Automobilverbandes und der Landwirtschaft bemühen sich zumindest auf ihren Plakaten um Nachhaltigkeit. Es gibt gesellschaftliche Trends, begründet auf der realen Gefahr des Klimawandels, vor denen sich eben auch die FDP nicht verschließen kann.
Zu viel auf einmal
Aber vielleicht wirkt gerade bei FDP-Wählern dieser Wandel zu schrill und viel zu schnell. Gerade bei den Älteren haben die Liberalen Probleme zu überzeugen. Aus fünf Landtagen ist man bereits geflogen. Weitere könnten dieses Jahr noch folgen. Klimawandel, Krieg und Corona – wohl keine Partei treffen die politischen Folgen der daraus folgenden Kostenexplosionen so wie die steuersensible FDP.
Vielleicht hat die Apothekerlobby auf dem Bundesparteitag auch deshalb jedem Delegierten eine riesige Give-Away-Tüte mit dem großen roten Apotheken-Logo an den Platz stellen lassen. Eine freundliche Erinnerung an die Partei der Besserverdiener für Berufsstände, die oft mit A begonnen haben – Ärzte, Anwälte und Apotheker.
Am Rednerpult weiß der amtierende Bundesjustizminister Marco Buschmann um diese Problematik. “Viele Dinge sind strittig, die wir da durchsetzen”, sagt er und meint damit die gemeinsamen und oft kostspieligen Investitions- und Sozialprojekte der Ampel-Regierung. Dann bedankt er sich bei den Delegierten aus den FDP-Landesverbänden. Er wisse, dass alle Ärger bekommen an der Basis, in den Orts- und Kreisverbänden. “Aber wir haben mal hier in diesem Saal beschlossen, nicht German Angst ist unser Motto, sondern German Mut”, so Buschmann. Man müsse darum jetzt zusammenstehen und weitermachen, dann würde man auch weiter erfolgreich sein. Schritthalten mit dem Fortschritt, das ist für die FDP einerseits eine Möglichkeit, andererseits ein kostspieliges Risiko.
Soziales Gewissen als Chance für die FDP
Eine, die darauf hoffen muss, dass Buschmanns Wette aufgeht, ist die Tochter von Horst Seehofer, dem ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten und mehrfachen CSU-Bundesministers. Susanne Seehofer ist 31 Jahre, Mutter einer kleinen Tochter und hat sich vor einigen Jahren dafür entschieden, nicht der Union, sondern den Liberalen beizutreten. (Ein Interview mit ihr können Sie hier lesen). In der nach wie vor von Männern geprägten Partei steht auch sie für diese neue FDP, die sich aber auch immer noch finden muss. Vorbilder sind für sie andere Frauen in der FDP, wie etwa die Bundestagsabgeordneten Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Ria Schröder.