Verteidigungsminister Boris Pistorius: Herausforderung Bundeswehr

Nach dem Rücktritt von Christine Lambrecht übernimmt nun Boris Pistorius das Ruder im Verteidigungsministerium. Auf ihn warten gigantische Herausforderungen.

Stoltenberg, Rühe, Scharping, Struck, Jung, zu Guttenberg, de Maizière, von der Leyen, Kramp-Karrenbauer, Lambrecht.

Das sind die Namen der deutschen Verteidigungsminister seit der Wiedervereinigung. Nun also kommt Boris Pistorius hinzu. Der bisherige niedersächsische Innenminister wird der elfte Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt in gut drei Jahrzehnten sein. Im Schnitt kam damit alle drei Jahre ein neuer Hoffnungsträger ins Amt, zunächst auf die Bonner Hardthöhe und dann in den Berliner Bendlerblock.

In durchschnittlich drei Jahren Spuren zu hinterlassen, ist nicht leicht. Viele Verteidigungsminister hatten allerdings das besondere Talent, eher unrühmlich in Erinnerung zu bleiben. Rudolf Scharping plantschte mit seiner Geliebten im Pool, während im Kosovo Bundeswehrsoldaten kämpften. Franz Josef Jung galt als chronisch überfordert. Karl-Theodor zu Guttenberg und Ursula von der Leyen kümmerten sich vor allem um die eigene Inszenierung. Von Annegret Kramp-Karrenbauer und Christine Lambrecht wird vermutlich auch nicht viel mehr übrigbleiben als ein Foto in der Ahnengalerie.

Verteidigungsminister: Eine Grafik zeigt, wer Lambrecht abgeschlagen hat.

Angesichts der bescheidenen Historie sind die Erwartungen der mehr als 250.000 Mitarbeiter der Bundeswehr und der rund 2.500 Beschäftigten des Verteidigungsministeriums überschaubar. Sie wären schon zufrieden, wenn der neue Amtsinhaber zeigte, dass er der Truppe vertraut, sich für sie interessiert und einsetzt – und sie weder im In- noch im Ausland blamiert. Also einfach vernünftig seinen Job machte.

Gute persönliche Eigenschaften sind aber nur eine der zwingenden Voraussetzungen. Die inhaltlichen Herausforderungen für Pistorius sind ebenfalls groß. Schließlich ist die sicherheitspolitische Lage in Europa so prekär wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Vor bald einem Jahr rief Olaf Scholz die “Zeitenwende” aus. Doch eine neue Dynamik ist aus den Kanzlerworten bislang nicht entstanden. Die Strukturen in der Bundeswehr und der Rüstungsindustrie sind noch immer verkrustet.

Die Aufgaben sind also klar umrissen. Ein Überblick über die drei größten Herausforderungen für Lambrechts Nachfolger:

1. Die Soldatinnen und Soldaten wertschätzen

Wer wissen wollte, wie es um Christine Lambrecht zuletzt bestellt war, der musste in die Truppe reinhören. Dort nahm kaum jemand mehr die Chefin ernst. Die Stöckelschuhe im Wüstensand von Mali, der Sohn im Bundeswehr-Helikopter, die Unkenntnis von Dienstgraden – all das führte dazu, dass Lambrecht von vielen Soldatinnen und Soldaten nicht mehr als Respektsperson gesehen wurde.

Man orientierte sich an den jeweiligen Vorgesetzten und kommentierte die Debatte über die Pannenministerin nur noch mit zynischen Witzen. Auch bei den hochrangigen Militärs gab es große Irritationen über Lambrecht, die sich schnell mit einem kleinen Kreis von Vertrauten abschottete und für viele nicht mehr zugänglich war.

Pistorius muss nun sowohl das Vertrauen der Soldatinnen und Soldaten als auch das der Generäle schnellstmöglich zurückgewinnen. Dazu gehören intensive Truppenbesuche im In- und Ausland und ein schnelles Einarbeiten in die Hierarchien – auch in die 83 Dienstgrade der Bundeswehr.

2. Den internationalen Ruf aufpolieren

Als Bundeskanzler Olaf Scholz Ende Februar des vergangenen Jahres die “Zeitenwende” ankündigte, erhielt er dafür auch im Ausland viel positive Resonanz, insbesondere von den westlichen Verbündeten. Groß war die Hoffnung, Deutschland werde nun endlich auch militärisch-strategisch die Rolle einnehmen, die seiner politischen und geografischen entspricht. “Europas schlafender Gigant erwacht”, schrieb etwa “The Atlantic”.

Inzwischen hat sich Enttäuschung breitgemacht. Die Ankündigung, die alten Tornados durch moderne F-35-Kampfflugzeuge zu ersetzen, mündete in eine Debatte, ob man überhaupt einen Flugplatz und eine Flugerlaubnis dafür habe. Polen und andere osteuropäische Nachbarn waren insbesondere in der Anfangszeit des Krieges entsetzt über die deutsche Zurückhaltung, die Ukraine mit schweren Waffen zu unterstützen. Dann fielen auch noch die für die Schnelle Einsatztruppe der Nato eingeplanten Puma-Panzer aus.

Pistorius muss auch den ausländischen Partnern glaubhaft versichern, dass Deutschland es ernst meint mit seinem “Zeitenwende”-Versprechen. Er muss aus der Bundeswehr wieder eine Armee machen, die zur Landesverteidigung in der Lage ist. Voraussetzung dafür ist die Reform der Strukturen. Das Problem: die jahrelange, chronische Unterfinanzierung der Bundeswehr. Jetzt, da es ein 100-Milliarden-Sondervermögen gibt, muss die Prioritätenliste schnell angegangen werden.

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