Türkei-Wahl I Sabotage-Vorwürfe: Deutsche Wahlbeobachter offenbar behindert

Regierung und Opposition überladen sich schon vor Ende der Auszählungen mit gegenseitigen Vorwürfen. Wahlbeobachter aus Deutschland berichten, dass ihnen der Zutritt zu Wahllokalen versperrt worden sei.

Die ganze Welt schaut auf die Wahlen in der Türkei. Während die Stimmen noch ausgezählt werden, werden nun schon erste Unregelmäßigkeiten gemeldet. Regierung und Opposition überladen sich mit gegenseitigen Vorwürfen der Sabotage – und Wahlbeobachter berichten in den sozialen Medien von möglichen Wahlmanipulationen und blockierten Auszählungen.

Zudem bahnt sich ein Streit um die Wahlergebnisse an – staatliche Medien sahen nach Auszählung von mehr als 90 Prozent der Stimmen den amtierenden Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan vorne, während die Opposition mit ihrem Spitzenkandidaten Kemal Kılıçdaroğlu die Führung für sich reklamierte (hier lesen Sie mehr zu dem vorläufigen Ergebnissen). Präsident Recep Tayyip Erdoğan meldete sich am Abend per Twitter zu Wort. Die Wahlen hätten in “positiver und demokratischer Atmosphäre” stattgefunden, schrieb er.

Doch Berichte von Gesandten der Linken-Partei zeichneten ein anderes Bild: Linkenchefin Janine Wissler meldete der Nachrichtenagentur afp, dass Wahlbeobachter einer Delegation der Partei durch bewaffnete Polizisten am Betreten der Wahlbüros gehindert worden seien. Die in den kurdisch geprägten Gebieten im Osten des Landes eingesetzten Beobachter aus Deutschland berichteten generell von einer hohen Präsenz bewaffneter Polizisten und Soldaten.

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Hohe Präsenz von bewaffneten Polizisten und Soldaten

Hakan Tas, Wahlbeobachter im Auftrag der Linken, erklärte, dass nicht nur deutschen, sondern auch türkischen unabhängigen Wahlbeobachtern der Zutritt zu Wahlbüros verweigert wurde. Polizei und Militär hätten sich dadurch über die Vereinbarung mit der Wahlkommission hinweggesetzt, sagte er telefonisch der Nachrichtenagentur AFP. Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die die Türkei-Wahl mit insgesamt 400 Experten überwachen, seien in den Kurdengebieten kaum vetreten gewesen, fügte Tas hinzu.

Tas berichtete zudem von – vorwiegend durch Anhänger der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP ausgelösten – Auseinandersetzungen in und vor einigen Wahlbüros, die zu deren vorübergehenden Schließungen führten, woraufhin “die ohnehin schon sehr langen Schlangen vor den Walbüros noch länger wurden”, sagte Tas.

Die Linken-Delegation war mit 19 Wahlbeobachtern auf Einladung der linksgerichteten, türkischen Yesil Sol Partisi vor Ort. Schwesterpartei der Linken in der Türkei ist die pro-kurdische Oppositionspartei HDP.

Nachrichtenagenturen legen unterschiedliche Zahlen vor

Frank Schwabe, der für den Europarat die Wahl beobachtete, sagte der ARD, im Großen und Ganzen sei alles gut gelaufen. “Aber es gibt durchaus auch den ein oder anderen Fall, wo man genauer hinschauen muss.”

Regierung und Opposition werfen sich gegenseitig Sabotage vor

Die Berichte von unabhängigen Wahlbeobachtern sind besonders brisant: Denn es zeichnet sich ein erbitterter Streit um die Wahlergebnisse ab. Bekommt keiner der drei Kandidaten mehr als 50 Prozent der Stimmen, geht es für die beiden führenden Bewerber am 28. Mai in eine Stichwahl.

Der AKP-Sprecher Ömer Celik warf der CHP um Kılıçdaroğlu Sabotage vor. Der CHP-Politiker Ekrem Imamoglu beschuldigte indes staatliche Stellen, falsche vorläufige Zahlen zu verbreiten, die die Werte von Amtsträger Recep Tayyip Erdoğan schönten. Beide Seiten erklärten jeweils, sich bei den Abstimmungen vorn zu sehen.

Erdoğan selbst beschuldigte die Opposition, die Ergebnisse der Wahl voreilig bekannt geben zu wollen. Er sprach von einem “Raub des nationalen Willens”. Zudem rief dazu auf, die ungezählten Wahlurnen nicht aus den Augen zulassen. Ein ähnlicher Aufruf war zuvor auch von Herausforderer Kılıçdaroğlu gekommen.

Die Wahl in der Türkei gilt als richtungsweisend und wegen der zu erwartenden innen- und außenpolitischen Auswirkungen als eine der weltweit wichtigsten in diesem Jahr. Seit der Einführung eines Präsidialsystems vor fünf Jahren hat der 69 Jahre alte Erdoğan so viel Macht wie noch nie. Kritiker befürchten, dass das Land mit rund 85 Millionen Einwohnern bei einer Wiederwahl Erdoğans vollends in die Autokratie abgleiten könnte. Auch international wird die Abstimmung in dem Nato-Land aufmerksam beobachtet.

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