“Russland stellt sich wahnsinnig dämlich an” – Deutscher berichtet über Kampf im Ukraine-Krieg

Neun Monate kämpfte der Deutsche Jonas Kratzenberg freiwillig an der Front für die Ukraine. Wie blickt er auf den Krieg?

Mit dem Militär hatte Jonas Kratzenberg eigentlich schon abgeschlossen. Im Februar 2022 endeten seine vier Jahre als Soldat bei der Bundeswehr. Doch nur wenig später brach der Krieg in der Ukraine aus – und Kratzenberg entschloss sich, freiwillig für die ukrainischen Streitkräfte zu kämpfen.

Neun Monate war er an der Front. Mittlerweile lebt er wieder in Deutschland und hat ein Buch über seine Erfahrungen geschrieben. Im Gespräch mit t-online spart er kaum Details aus und scheut sich nicht, die ukrainische Armee zu kritisieren. Nur über eine Sache spricht Kratzenberg nicht: Ob oder wie viele russische Soldaten er und seine Einheit getötet haben. Das gehe nur ihn und seine Kameraden etwas an.

t-online: Herr Kratzenberg, Ihr Einsatz in der Ukraine endete durch einen Angriff einer russischen Drohne, bei dem Sie zahlreiche Granatsplitter trafen. Wie geht es Ihnen heute?

Jonas Kratzenberg: Es hat sehr viel ärztliche Hilfe gebraucht. In meinem Körper sind noch immer viele Splitter, in meinem Kopf, in meinen Armen und meinen Beinen. Aber davon merke ich nichts. Tatsächlich geht es mir wieder gut.

Sie waren neun Monate im Krieg. Was für psychische Spuren hat das hinterlassen?

Ich kann gut schlafen, aber ich habe immer noch Bilder und Eindrücke im Kopf.

Kratzenberg nach dem Drohnenangriff: Noch heute stecken Granatsplitter in seinem Körper. (Quelle: Privat)

Es sind vor allem Geräusche. Das Pfeifen von Artillerie, die Schüsse von Panzern oder das Knallen von Patronen. Diese Töne lösen Stress in mir aus. Bilder oder Videos von der Front ohne Ton kann ich mir ohne Weiteres anschauen. Zwar ist das Problem vieler Traumata, dass man sie häufig nicht selbst bemerkt. Aus meinem Umfeld hat bisher aber niemand gesagt, dass ich mich seit meiner Rückkehr verändert habe.

(Quelle: privat)

Zur Person

Jonas Kratzenberg, geboren 1997, ging nach dem Abitur zur Bundeswehr und absolvierte eine Ausbildung zum Panzergrenadier. 2019 war er für die Truppe in Afghanistan im Einsatz und wurde 2022 kurz vor dem Ukraine-Krieg ehrenhaft entlassen. Zwischen März und Dezember 2022 kämpfte er für die Ukraine gegen Russland. Über seine Erfahrungen schrieb er mit Fred Sellin das kürzlich erschienene Buch “Schützenhilfe” (Yes-Verlag).

Als Sie in die Ukraine aufbrachen, hatten Sie gerade die Bundeswehr verlassen. Warum wollten Sie dort kämpfen?

Ich habe eine moralische Verpflichtung gespürt, den Menschen zu helfen. Außerdem wollte ich meine Fähigkeiten als Soldat auch einsetzen. Das ist von außen sicher schwer zu begreifen, aber als Soldat wollte ich kämpfen.

Sie kritisieren in Ihrem Buch sehr deutlich viele Missstände in der ukrainischen Armee. Lassen sich die ukrainischen Streitkräfte überhaupt mit der Bundeswehr vergleichen?

Die Bundeswehr ist deutlich professioneller als die ukrainische Armee. Man kann dem deutschen Militär viel vorwerfen, aber es wird sehr straff geführt. Die Ukrainer sind umgekehrt in ihren Entscheidungen flexibler und erfinderisch, etwa bei ihrem Umgang mit Waffen. Zudem gibt es viel Korruption. Und manchen Einheiten fehlt auch der Wille, sich besser zu organisieren.

Sprechen wir in Deutschland zu wenig über diese Probleme?

Auf jeden Fall. Bei uns sprechen die meisten Leute diese Missstände allein aus ideologischen Gründen an – weil sie gegen die Ukraine oder deren Unterstützung sind. Wer der Ukraine helfen will, schweigt dagegen zu diesen Themen. Deshalb war es mir wichtig, aus meiner Position heraus einige Probleme anzusprechen.

Es ist öfter zu hören, dass die ausländischen Soldaten von der Ukraine verheizt und schlechter behandelt würden als die einheimischen Truppen. Haben Sie einen Unterschied gespürt?

Ja. Die Internationale Legion hat uns Freiwillige deutlich schlechter behandelt. Viele von uns haben zu wenig Gehalt bekommen oder wurden gar nicht bezahlt. Wir konnten uns schlecht wehren, allein schon weil wir weder Russisch noch Ukrainisch sprechen konnten. Verheizt wurde meine Einheit allerdings nicht: Nach den ersten Verlusten kamen wir fast nur noch in Gebiete, die weniger gefährlich waren. Ich habe allerdings auch Videoaufnahmen eines Kommandanten gesehen, der in den Freiwilligen nur Kanonenfutter sah.

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