Minderheit als politischer Spielball: So agitiert Orban in Sachen EU-Beitritt gegen die Ukraine

Die Ukraine will in die EU – und einer ist dagegen: Viktor Orbán. Er pocht auf die Minderheitenrechte seiner Landsleute. Experten sehen darin einen Vorwand.

Im November ist die Ukraine dem Beitritt zur EU ein ganzes Stück vorangekommen – eigentlich: Nach einer formalen Empfehlung von Kommissionschefin Ursula von der Leyen soll bereits im Dezember entschieden werden, ob entsprechende Gespräche aufgenommen werden. Von der Leyen war voll des Lobes, als sie Selenskyj traf. Kiew habe erhebliche Anstrengungen unternommen, um die Anforderungen zu erfüllen, sagte sie.

Doch einer stört sich daran: Viktor Orbán. Der ungarische Ministerpräsident und Kremlfreund droht mit einem Veto und könnte die Aufnahme der für die Ukraine so wichtigen Gespräche platzen lassen.

Die Ukraine sei “noch nicht bereit” für eine Mitgliedschaft in der EU, sagte er Mitte November, und erste formale Gespräche, wie im Beitrittsprocedere üblich, seien verfrüht. Orbáns Begründung: Kiew gefährde die Rechte der ungarischen Minderheit in der Ukraine. Er meinte eine spezielle Region an der Südwestspitze der Ukraine: Transkarpatien. Dort leben etwa 120.000 ethnische Ungarn.

Während sich Orbán als besorgter Beschützer seiner Landsleute in der Ukraine präsentiert, werten Beobachterinnen und Beobachter sein Verhalten als politisches Kalkül. Orbán, so der Vorwurf, benutze die Minderheit als politischen Spielball. Tatsächlich kann er mit seinem Veto den gesamten Beitrittsprozess lahmlegen. Alle relevanten Entscheidungen zum Beitritt erfordern eine Einstimmigkeit der EU-Staaten.

Ungarisch in Beruf und Schule

Die Ungarn, um die es geht, leben in direkter Grenznähe zu Ungarn, sprechen Ungarisch im Alltag, bei Ämtergängen, in Beruf und Schule. Man orientiere sich nach Budapest, sagte ein Bewohner der Region einem Reporter der Zeitung “El País”. Die Identifizierung mit dem Nachbarland ist auch deswegen hoch, weil Orbán die Minderheit seit Jahren als besonders schutzbedürftig darstellt – und immer wieder verbal gegen die Ukraine feuert.

Kiew weist die Vorhaltungen aus Budapest von sich, doch der Konflikt hat in der Vergangenheit schwere diplomatische Verstimmungen erzeugt. Das liegt auch am unverfrorenen Vorgehen aus Ungarn: Budapest vergibt seit Jahren Pässe an Menschen aus der Region, obwohl die Ukraine doppelte Staatsbürgerschaften verbietet und sich derartige Einmischungen in innere Angelegenheiten verbittet.

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Ungarn schickt Millionen in die Region

Streit gibt es auch um finanzielle Unterstützung der Region. Budapest hat seit 2020 umgerechnet mehr als 250 Millionen Euro in Transkarpatien investiert, schreibt Dmitro Tuzhanskii vom slowakischen Thinktank Globsec: Oft sei die Finanzierung den ukrainischen Behörden aber nicht transparent gemacht worden.

Budapest pocht darauf, dass das Gebiet als ungarische Zone gekennzeichnet wird und ungarische Symbolik im Alltag präsent sein soll, etwa mit Flaggen an Verwaltungsgebäuden. Die territoriale Autonomie der Ungarn müsse erkennbar sein, heißt es.

Besonders hitzig ist der Streit zwischen beiden Ländern aber bei einem Bildungsgesetz von 2017. Es erlaubt Schulunterricht in den Sprachen von Minderheiten in der Ukraine nur noch in eingeschränkter Form. Die Ukraine hatte das Gesetz angepasst, um den russischen Einfluss in den östlichen Regionen einzudämmen, die traditionell zweisprachig – Russisch und Ukrainisch – geprägt sind. Hintergrund war auch das Bestreben, Teil der EU zu werden. Das hatte auch für Transkarpatien Folgen: Der Unterricht in Schulfächern sollte nicht mehr auf Ungarisch stattfinden oder zumindest deutlich eingeschränkt werden. Budapest lief Sturm.

Unterricht auf Ungarisch bleibt erlaubt

Das zeigte Wirkung in Kiew und das Bildungsgesetz wurde wieder zurückgedreht. Bis jetzt dürfen Lehrende in der Region alles auf Ungarisch unterrichten – vom Fach Ukrainisch abgesehen. Dennoch warnt Orbán, Kiew wolle die ungarische Identität in der Region “auslöschen”. Im September entschied das Parlament, dass das Gesetz bis mindestens September 2024 nicht umgesetzt wird.

Wegen Ungarns Gebaren warnt Forscher Tuzhanskii allerdings auch vor einer “ethnischen Falle”, in die die Ukraine im EU-Beitrittsprozess geraten könnte. Er sagt, dass Orbán “ein geopolitisches Spiel” spiele und es darauf anlege, regionale Spannungen anzuheizen. Ungarn hat in der Vergangenheit immer wieder seine Nähe zu Russland deutlich gemacht, bezieht von dort weiter Öl und Gas und wehrt sich immer wieder aufs Neue gegen Sanktionen, die die EU gegen den Aggressor verhängt.

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