Hakan Demir, geboren in der Türkei, sitzt für die SPD im Bundestag. Er will sich für Muslime einsetzen – aber auch Israel schützen. Porträt eines Mannes, der jeden Tag den richtigen Ton sucht.
Es ist ein strahlender Tag, an dem Hakan Demir plötzlich sprachlos wird. Ein Mann mit weißem Bürstenhaarschnitt stürzt auf der Straße auf ihn zu: “Wir müssen ja auch an die Palästinenser denken”, sagt der Mann und schiebt seinen Kopf nah an Demir heran. Hakan Demir sagt nichts. Er geht weiter, direkt auf das Brandenburger Tor zu. Es ist der 22. Oktober, tausende sind gekommen, um der jüdischen Terroropfer zu gedenken, vor zwei Wochen hat die Hamas Israel brutal überfallen. Der Mann läuft neben Demir her und zieht ein Schild hervor: “Stoppt den Hass im Nahen Osten!”
Hakan Demir sagt immer noch nichts. Der Mann versucht es erneut: “Das ist doch heute alles viel zu eindeutig pro Israel!” Demir starrt ihn und das Schild an. Für einen kurzen Moment wirkt er überfordert. Dann fängt er sich und sagt: “Heute demonstrieren wir erst mal. Alles Weitere werden wir sehen.” Klarer will er sich nicht festlegen. Und dann merkt Demir, dass er während des Gespräches falsch gelaufen ist. Zur Demonstration kommt er nur, wenn er vorher ein Gebäude umrundet. Demir kehrt um. Er muss den richtigen Weg erst noch finden.
Manchmal gelingt es ihm, die Positionen zu verbinden – und manchmal nicht
Hakan Demir, 38 Jahre alt, sitzt seit 2021 für die SPD im Deutschen Bundestag. Er wurde in der Türkei geboren, wuchs in der Nähe des Ruhrgebiets auf, heute liegt sein Wahlkreis in Berlin-Neukölln, wo viele Menschen mit Migrationsgeschichte leben. Er will gegen die Stigmatisierung von Migranten und Muslimen kämpfen – und gleichzeitig Israel verteidigen.
Dabei muss sich Demir nach den Großen richten: Bundespräsident Steinmeier, Kanzler Scholz, Vizekanzler Habeck. Sie setzen den Rahmen, in dem er Politik machen muss. Sein Alltag ist deshalb ein Kampf um Worte. Ein Ringen zwischen Abgrenzung und Zustimmung, immer Gefahr laufend, jemanden vor den Kopf zu stoßen. Manchmal gewinnt er den Kampf. Und manchmal wirkt es, als würde er zwischen Mühlsteinen zerrieben werden.
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“Wer nicht friedlich demonstrieren kann, ist fehl am Platz”
Demir ist angekommen, an diesem Sonntag auf dem Platz des 18. März, direkt vor dem Brandenburger Tor. Viele schwenken Fahnen mit dem Davidstern, Bundespräsident Steinmeier sagt durch die Lautsprecher: “Es ist unerträglich, dass Juden wieder Angst haben.” Demir sagt: “Natürlich müssen wir Israel jetzt unterstützen.” Steinmeier redet viel über die Solidarität mit Israel. Über Migration redet er wenig. Demir gefällt das, er applaudiert viel. Gerade wirkt es, als wäre alles im Einklang. Als wären er und die Großen in derselben Richtung unterwegs.
Am Abend zuvor, nur zwölf Stunden bevor Demir und der Bundespräsident am Brandenburger Tor stehen, brüllten dort radikale Islamisten herum. Sie feierten den Krieg, die Ermordung zahlreicher Juden am 7. Oktober 2023. Demir sagt dazu nur: “Wer nicht friedlich demonstrieren kann, ist fehl am Platz.” Es wirkt wie eine Randnotiz, doch es ist nur der Anfang. Der Vorbote der Proteste, die noch kommen sollen.
Die Woche beginnt, Hakan Demir spult seine Termine ab. Er spricht mit Verantwortlichen von Moscheen, mit Vertretern aus Flüchtlingsorganisationen, mit jüdischen Vereinen. Manchmal rät er, dass Imame und Rabbis Telefonnummern tauschen sollen. Er glaubt, dass sich in Deutschland etwas zusammenbraut. Einmal sagt er: “Das gesellschaftliche Klima ist aufgeladen, da muss man aufpassen.”
Ende Oktober nehmen die Pro-Palästina-Demos zu. Jetzt sind es nicht mehr nur ein paar vor dem Brandenburger Tor. Jetzt ziehen sie zu Hunderten durch die Innenstädte der Bundesrepublik. Hakan Demir ist besorgt.