Berichterstattung von Demonstrationen ist für Journalisten in den vergangenen Jahren immer gefährlicher geworden. Eine Initiative will das ändern – und stellt klare Forderungen.
Ein Bericht von “Reporter ohne Grenzen” (RSF) zur Pressefreiheit fällt für Deutschland ernüchternd aus: Die Bundesrepublik ist im Ranking fünf Plätze nach unten gerutscht. Nie zuvor gab es so viele gemeldete körperliche Angriffe wie im vergangenen Jahr. Zwei Drittel der Vorfälle haben sich im Osten ereignet, die meisten in Sachsen.
Dort hat sich vor zwei Jahren eine Initiative gegründet: Between the Lines. Ehrenamtliche begleiten Journalistinnen und Journalisten zu Demonstrationen, um ihnen Schutz zu bieten: Sie schreiten ein, wenn es zu Übergriffen kommt oder eine Situation zu eskalieren droht. Warum das dringend nötig ist und wie sich die Lage in den vergangenen Jahren zugespitzt hat, erklären die Mitglieder Johanna Scholz und Klemens Köhler im Gespräch mit t-online.
t-online: Herr Köhler, wie beurteilen Sie, dass Deutschland im Pressefreiheitsranking abgerutscht ist?
Klemens Köhler: Es ist frustrierend, dass da nichts passiert ist, obwohl Deutschland schon im vergangenen Jahr massiv abgesackt ist. Die Sicherheitslage für Journalistinnen und Journalisten hat sich seitdem aus unserer Sicht kaum verändert. Gleichzeitig haben andere Länder es offensichtlich geschafft, die Lage der Pressefreiheit zu verbessern.
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Woran machen Sie fest, dass es in Deutschland nicht so ist?
Manche Journalisten schrecken inzwischen davor zurück, von Demos zu berichten. Sie trauen sich nicht mehr. Das führt zu Löchern in der Berichterstattung. Schon bei Pegida-Versammlungen vor acht Jahren gab es in Richtung von Medienschaffenden Rufe wie “Lügenpresse”. Presseteams wurden bedrängt, oftmals wurde das Handy aus der Hand geschlagen.
Und jetzt ist es noch schlimmer geworden?
Ja. In den vergangenen Jahren hat sich die Situation zugespitzt: Die Hemmschwelle für heftige körperliche Gewalt ist inzwischen deutlich geringer. Die Menschen pushen sich gegenseitig hoch: Der eine fängt an zu pöbeln und auf einmal machen Dutzende andere mit. Sie wissen ganz genau, wie sie die Presseleute in ihrer Arbeit behindern können und der aggressive Umgang ist normal geworden. Es geht nicht mehr nur um knallharte Rechtsextremisten, sondern um “normale” Demoteilnehmende. Deshalb haben wir vor zwei Jahren unsere Initiative gegründet.
Frau Scholz, welche Erfahrungen machen Sie als Begleitschutz bei Demos?
Johanna Scholz: Tausende Menschen in Deutschland haben das “Feindbild Presse” verinnerlicht. Sie fühlen sich übergangen oder nicht gehört. Das ist ein großes Problem. Wir erleben keinen Einsatz, wo wir nicht bekämpft werden, wo es nicht in irgendeiner Form zu Bemerkungen kommt gegenüber Journalistinnen und Journalisten. Es gibt immer wieder heftige körperliche Angriffe. Unabhängig vom Anlass ist das in den meisten Fällen noch auf Corona-Maßnahmen bezogen, zum Beispiel wenn jemand Maske trägt oder Abstand halten will. Es hat eine Radikalisierung stattgefunden, im Zusammenhang mit den damaligen Einschränkungen. Das ist ein bundesweites Problem.
In Sachsen, wo Sie agieren, sind die Corona-Regeln auf besonders heftigen Widerstand gestoßen.
Sachsen ist in dem aktuellen RSF-Bericht trauriger Spitzenreiter in Deutschland. Während der Corona-Pandemie gab es dort zwischenzeitlich ein Demonstrationsverbot – doch zu diesem Zeitpunkt stellten sich etliche Tausend Menschen gegen die Maßnahmen und wollten verdeutlichen: “Wir machen da nicht mit.” Entsprechend fiel die Hemmschwelle für Gewalt. Vorher waren es vorwiegend organisierte Gruppen von Neonazis, die Journalistinnen und Journalisten angegriffen haben. Inzwischen ist jeder Demoteilnehmer ein potenzieller Angreifer – ob jung, alt, männlich, weiblich.
Werden bestimmte Journalistinnen und Journalisten vermehrt Ziel von Angriffen?
Klemens Köhler: Wir begleiten regelmäßig eine Journalistin, die nur noch selten ohne uns zu Demos geht – weil sie bekannt ist und im Fokus steht. Sie sagt völlig zu Recht, dass die Kolleginnen und Kollegen in ihrer Nähe in Ruhe arbeiten können, wenn sie von einer Demo berichtet – weil die Teilnehmenden sich verbal und auch manchmal körperlich sofort auf sie stürzen.