Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
gelesen, gelacht, gelocht: Es ist eine Freude, im Stakkato der Nachrichten auch mal welche unbeachtet beiseitezulegen. Acht Milliarden Menschen wuseln ohne Unterlass auf unserem Planeten herum, was ebenso pausenlos Ereignisse und Neuigkeiten produziert. Es ist der Job von uns Journalisten, darüber nicht nur zu berichten, sondern das weniger Wichtige beständig auszumisten. Ist eine Nachricht relevant? Betrifft sie unsere Leser, Hörer, Zuschauer hierzulande?
Nehmen wir ein Beispiel: Irgendwo im Ausland zofft sich ein Politiker mit einer Firma. Nein, nicht der Regierungschef. Auch nicht der Gegenspieler von der Opposition, sondern bloß einer von dessen Konkurrenten aus der eigenen Partei. Später will der Mann vielleicht mal Kandidat für eine Wahl werden, offiziell ist das aber nicht, und es sieht sowieso nicht gut aus mit seinen Umfragewerten. Bis die Wahl stattfindet, sind es außerdem noch anderthalb Jahre hin. Sehen Sie? So einfach ist das: Ausland, Opposition, zweite Reihe, absteigender Ast, Termin in der Ferne – zack, schon aussortiert. Oh, Moment mal … es sei denn, das Ganze spielt sich in den USA ab. Da schauen wir lieber doch kurz mal hin.
Die Sache mit den USA ist nämlich die: Formal gehören sie zwar zum Ausland, praktisch jedoch hat das, was dort geschieht, die Tendenz, uns ganz schön auf die Pelle zu rücken. Selbst das Gewurschtel innerhalb der Opposition. Denn dort dröhnt immer noch der Donald herum, von dem wir uns nach den vier Jahren seiner Präsidentschaft eigentlich gerade prima erholen. Aber weil der Ex immer noch so viele Fans hat, sehen sich die Leute aus seiner Partei, zum Beispiel die im Kongress in Washington, dauernd hektisch in seine Richtung um – nach Lob und Anerkennung heischend die einen, ein bisschen ängstlich die anderen. Positionsbestimmungen innerhalb der Republikanischen Partei bemessen sich nach wie vor am Donald: Jemand ist entweder “moderater als Trump” oder “rechts von Trump”. Letzteres ist gar nicht so einfach, schließlich hat der Typ sich neulich erst mit einem Neonazi sowie dem antisemitischen Sprücheklopfer Kanye West zum Dinner zusammengesetzt.
Die Justierungen innerhalb der US-Oppositionspartei strahlen aus bis nach Europa. Der Slogan “Amerika zuerst” hat bereits im vergangenen Jahr eine steigende Zahl republikanischer Parlamentarier gegen die Unterstützung der Ukraine stimmen lassen. Eine der radikalsten Tröten aus dem Lager der Trumpisten, die Abgeordnete Marjorie Taylor Greene, hat daraus die Parole “Kein Geld für die Ukraine” geschmiedet und probeweise in die Welt gesetzt. Präsident Selenskyj und sein Generalstab werden das in ihre Planung einfließen lassen und, mit der Uhr der nächsten Präsidentschaftswahl im Nacken, an der Front gegen die Russen für noch mehr Tempo sorgen müssen. Putin hingegen darf darauf hoffen, dass die Zeit für ihn arbeitet. So heizen die amerikanischen Republikaner mit ihren Positionierungen den Krieg im fernen Europa weiter an, obwohl sie mit den Gedanken eigentlich zuhause sind und auf Trump und die nächste Wahl schielen. Denn Trump und die nächste Wahl, das gehört schließlich zusammen – oder?
Bis vor kurzem konnte man sich da gar nicht so sicher sein. Trumps Stern schien im Sinken begriffen. Von ihm unterstützte Kandidaten gingen in den Zwischenwahlen für den Kongress mehrheitlich baden, seine Popularität war angeknackst, und ein ehemaliger Zögling zog in den Umfragen an ihm vorbei: Ron DeSantis, mit beeindruckender Mehrheit zum Gouverneur von Florida wiedergewählt, war zum neuen Star der republikanischen Partei aufgestiegen. “Wie Trump, nur mit Hirn”, so wird er von Leitartiklern gern charakterisiert: ein analytischer Kopf, persönlich eher zurückgezogen – kein Netzwerker wie sein ehemaliger Mentor, aber bei jeder populistischen Parole ganz vorne mit dabei.
Um in der rechten republikanischen Parteibasis sein Profil zu schärfen, hat sich Mister DeSantis zum Krieger im amerikanischen Kulturkampf aufgeschwungen. Daheim in Florida hat er deshalb den Waffenfreunden noch die letzten verbliebenen Auflagen aus dem Weg geräumt. Von LGBTQ+, Transsexuellen und Ähnlichem will er erst recht nichts wissen und hat deshalb die bloße Erwähnung des Themas aus den Schulen verbannt. “Rechter als Trump”: Das sollte seine Positionierung werden – als harter Hund, der bei den Vorwahlen zur Vergabe der Präsidentschaftskandidatur mehr Prozente abräumt als sein Wischi-Waschi-Chaos-Meister.
Sogar mit Donald und dessen Residenz in Florida hat DeSantis sich angelegt. Lassen Sie mich das kurz präzisieren: nicht mit Donald Trump. Mit Donald Duck. Und Micky Maus. Und Disney World. Denn der Disney-Konzern hat, angetrieben von seinen empörten Mitarbeitern, gegen die reaktionäre Schulgesetzgebung protestiert. Prompt witterte DeSantis die Chance, sich zum Kämpfer gegen das Establishment und die Macht vermeintlich liberal unterwanderter Großkonzerne zu stilisieren – und als jemand, der sich nichts bieten lässt.
In einem bizarren Schlagabtausch hat DeSantis sogar gedroht, direkt neben das familienfreundliche Freizeitimperium eine Haftanstalt voller Verbrecher zu platzieren. Parallel wird vor Gericht darüber gestritten, ob Disney zum Opfer eines politischen Rachefeldzugs geworden ist und die Maßnahmen gegen den Konzern rechtmäßig sind. Der knallhart durchregierende Gouverneur muss nun feststellen, dass er an einen Wirtschaftsgiganten geraten ist, der in Florida nicht nur 75.000 Menschen beschäftigt, sondern auch über eine sehr schlagkräftige Rechtsabteilung verfügt. Mister DeSantis’ Profilierungsversuch gerät deshalb ins Stottern – und der Plan, Trump beim Kandidatenrennen zu überrunden, ebenfalls. Vergleicht man DeSantis’ Bemühungen mit dem Auftreten seines Meisters, wirken die Versuche amateurhaft, fast hilflos.
Trumps derzeitige Ausgangslage gestaltet sich wie folgt: Er ist in New York des Finanzbetrugs angeklagt. Er muss sich parallel dazu in einem anderen Verfahren wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung verantworten. Ein Sonderausschuss des Kongresses hat gerade erst medienwirksam seine Verantwortung für den Sturm aufs Kapitol 2021 beleuchtet. Dieses niederschmetternde Gesamtbild wirkt sich auf Trumps Popularitätswerte folgendermaßen aus: Er hat sein Umfragetief hinter sich gelassen und liegt im Rennen um die republikanische Präsidentschaftskandidatur mit großem Abstand vorn.
Wie kann das sein? Das fragt sich vielleicht auch sein Herausforderer in Florida. Trump hat das, was DeSantis fehlt: die Fähigkeit, einen direkten Draht zu seinen Anhängern aufzubauen – eine Beziehung, die persönliche Züge trägt. Sie fühlen sich von ihrem Idol verstanden und vertreten, glauben ihm jedes Wort (und seinen Gegnern nichts) und verzeihen ihm alles. Es hilft natürlich auch, dass die US-Medienlandschaft genau wie die gesamte Gesellschaft in zwei Lager gespalten ist, die jeweils die eigene Klientel bedienen. Rechte Sender wie “Fox News” schützen den Polit-Star Trump – mit dem Ergebnis, dass die Zuschauer von den Prozessen gegen ihren Helden kaum etwas hören. An der Basis der republikanischen Partei haben sich auf diese Weise sektenhafte Züge entwickelt.