“Das war’s für Kevin”

Der Nervenkrieg um die Wahl von Kevin McCarthy zum Chef des Repräsentantenhauses ist vorbei. Aber das Entsetzen über die Chaos-Partei ist groß. Auch ein alter Parteifreund und treuer Trump-Fan ist verwirrt.

Nach endlos wirkenden Stunden gibt Mike schließlich auf. “Ich denke, Kevin sollte jetzt zu den Demokraten gehen und ihnen einen Deal vorschlagen”, sagt er zu mir. Einen solchen Satz habe ich von ihm noch nie gehört. Mike ist mein Vermieter, seit Jahrzehnten treuer Republikaner. Donald Trump hält er für ein visionäres Genie. Demokraten, das sind für Mike eigentlich Politiker, die Amerika verraten und an China verkaufen, weil sie den Kommunismus einführen würden. Jetzt sollen ausgerechnet sie Kevin McCarthy retten.

Schließlich aber kommt es anders. Kaum einer hätte noch damit gerechnet, aber nach vier Tagen und 15 Wahlgängen hat der Mehrheitsführer der Republikaner doch genügend Stimmen bekommen und ist der neue Sprecher des US-Parlaments. Die Verzweiflung ist trotzdem groß. Denn die Partei hat sich öffentlich einen beispiellosen Machtkampf geliefert. Am Ende kommt es sogar zu Handgreiflichkeiten innerhalb der Fraktion. Der Sieg für McCarthy ist nur ein schwacher Trost. In den kommenden zwei Jahren können er und die amerikanische Gesetzgebung jederzeit wieder auf unbestimmte Zeit blockiert werden. Das Land steckt in einer politischen Krise.

Mike und ich sitzen in seinem Wohnzimmer, das er zum “War Room” erklärt hat, und ernähren uns seit drei Tagen wechselweise von Kaffee oder Weißwein, Salzbrezeln oder Tortellini. Am Ende gibt es Whiskey. Ab und an dreht er sich einen Joint von dem Gras, das er im vergangenen Jahr in seinem Hinterhof gezogen hat. Er sagt, er könne nicht arbeiten gehen, weil das, was da gerade passiert, historisch ist. So sehen wir gemeinsam zu, wie seine einst stolze “Grand Old Party” implodiert, weil eine Gruppe von Extremisten ihre Blockadehaltung gegen Kevin McCarthy nicht aufgeben will.

“Eine Tragödie”: Mike verfolgt das Scheitern seines alten Parteifreunds Kevin McCarthy

Nach elf Wahlgängen ist diese Demütigung für Mike kaum noch auszuhalten. “Das Schlimmste ist, dass das alles vor den Augen der Öffentlichkeit stattfindet”, sagt er. “Ich hasse diese Leute nicht. Ich mag zum Beispiel Matt Gaetz. Bei ihm weiß man, wofür er steht. Aber sie verhalten sich so idiotisch. Es ist eine Tragödie.” Von Lauren Boebert ist er nur noch genervt: “Sie vergeigt es einfach komplett.”

Während der fast 100 Stunden kann Mike sich oft nicht mehr entscheiden, ob er jene Extremisten, die Trumps Lüge vom Wahlbetrug weiterverbreiten, noch gut findet oder nicht. Mike ist selber davon überzeugt, dass Trump die Stimmen 2020 gestohlen wurden, dass der Sturm auf das Kapitol vom FBI organisiert war. Er ist aber auch davon überzeugt, dass die Partei nicht gespalten werden darf. Dass die 20 Abgeordneten das riskieren, bringt sein Weltbild ins Wanken.

Als am Freitagnachmittag plötzlich vierzehn der Hardliner doch für McCarthy stimmen, kann Mike es kaum glauben. “Es ist vorbei. Das ist es”, ruft er. Obwohl da die erforderliche Mehrheit immer noch nicht erreicht ist. “Der Druck wird jetzt so riesengroß. Das halten die anderen nicht mehr lange aus”, ist er sich sicher. “Wer will als Vollidiot vor der ganzen Nation dastehen?”

Unerbittliche Kämpfe mit den Ultrarechten

Mit Kevin McCarthy verbinden Mike viele Jahre gemeinsamer politischer Arbeit. Seit er in den späten Neunzigerjahren den Young Republicans in Kalifornien beigetreten ist, der Jugendorganisation der Republikaner, hat er mit McCarthy zahlreiche Wahlkämpfe im ganzen Land bestritten. “Ich habe damals in einem Plattenladen in Beverly Hills gearbeitet”, erzählt er mir von seiner ersten Begegnung mit jenem Mann, der jetzt der neue Sprecher im Repräsentantenhaus ist.

“Ich war damals frustriert von der Partei und die Medien logen die ganze Zeit”, sagt Mike. Dann habe ein Kumpel ihn mit McCarthy in Verbindung gebracht. “Wir haben gemeinsam an einer Reise der Young Republicans nach Kern County teilgenommen. Das war schön, an einem Fluss”, erinnert er sich. “Als Kevin und ich uns getroffen haben, war sofort klar, wir verstehen uns.”

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