China ist der größte Rivale der USA – und fordert die Weltmacht nun auch auf den Meeren heraus. Aber wie ist der Westen überhaupt in den maritimen Rückstand geraten? Und was muss sich für die deutsche Flotte ändern?
Es mag aus der Zeit gefallen wirken, ja pathetisch klingen. Aber wie das 21. Jahrhundert in die Geschichte eingeht, wird sich auf den Meeren der Welt entscheiden. Deshalb ist es mehr als eine Randnotiz, wenn die chinesische Marine die amerikanische rein zahlenmäßig längst überholt hat. Im Wettlauf zur See geraten aber nicht nur die USA, sondern der Westen insgesamt immer mehr in Rückstand.
Im Gespräch beantwortet der internationale Marine-Experte Sebastian Bruns die Frage, warum die Herrschaft über die Meere wichtiger denn je ist und erklärt, was sich die Exportnation Deutschland einfallen lassen muss, um die enormen Herausforderungen zu bestehen.
t-online: Herr Bruns, die USA sind alarmiert, weil sie beim Wettrüsten zur See mit China immer mehr zurückfallen. Wie gravierend sind die Schwächen der US-Navy?
Sebastian Bruns: Die Rolle als Seemacht ist für eine Weltmacht, wie die Amerikaner sie sind, von enormer Bedeutung. Gerade heute. Wir leben in einer globalisierten Welt, in der Amerika und der Westen insgesamt an Macht und Einfluss verlieren. Die USA, die angesichts ihrer Lage zwischen zwei großen Ozeanen eine Art Inselnation sind, müssen überall, wo sie ihre Interessen berührt sehen, mit dem Schiff hinfahren. Können sie ihre Interessen nicht mehr ausreichend schützen, hat das Konsequenzen, auch für uns Europäer.
Die amerikanische Admiralität ruft das “maritime Zeitalter” aus. Was genau bedeutet das?
Man muss sich klarmachen, dass heute um die 90 Prozent des internationalen Handels über See vollzogen werden. Wir leben in einer Welt, in der 80 Prozent der Bevölkerungen maximal eine Tagesreise von der See entfernt leben. Durch unsere Meere verlaufen Seekabel und Pipelines. Unsere Energiesicherheit liegt vielfach auf und unter See, angefangen bei Windparks bis hin zu Pipelines. Dazu verlaufen mehr als 99 Prozent des internationalen Datenverkehrs über global rund 300 Seekabel, die unsere Kontinente verbinden. Das ist kritische Infrastruktur. Jede Störung, Sabotage und Verlust von Einfluss auf solche Seekabel hat enorme Konsequenzen. Als 2021 etwa das Containerschiff “Ever Given” den Suezkanal versperrte, kam es zu extrem kostspieligen und folgenschweren Verzögerungen des Welthandels.
Wer die Seewege kontrolliert, hat also mehr denn je die Macht?
Ja, und gerade in Bezug auf die maritimen Flaschenhälse wie der Suezkanal. Diese kristallisieren sich an künstlichen oder natürlichen Engstellen auf den Meeren. Deren Kontrolle ist üblicherweise stark umkämpft. Wer den Suezkanal oder den Panamakanal kontrolliert oder die Straße von Malakka in Südostasien, legt seinen Finger auf die Nadelöhre des Welthandels. Eigentlich ist das ein ausgeklügeltes System zwischen Amerika, Europa, Asien, das im Interesse aller auch gut funktioniert hat. Aber es drohen Gefahren.
Einer dieser Flaschenhälse ist auch die Taiwanstraße. Zwischen dem chinesischen Festland und Taiwan kommt es immer häufiger zu militärischen Zwischenfällen. Die USA warnen vor aggressiven chinesischen Manövern. China bezichtigt dafür die USA unter anderem der Spionage.
Die wirtschaftliche Bedeutung von Seerouten geht mit der militärischen und politisch-strategischen Hand in Hand. Taiwan ist dafür ein gutes Beispiel. Durch die Taiwanstraße geht ein beträchtlicher Teil des internationalen Warenverkehrs. Eine Störung dieser Route – etwa weil China eine Invasion plant oder schlicht behauptet, es handle sich um das eigene Hoheitsgewässer – hätte massive Auswirkungen. Der niederländische Philosoph Hugo Grotius beschrieb das schon vor 600 Jahren als die “Universalität der Meere”. Übertragen auf heute hießt das: Ein eskalierender Taiwan-Konflikt hat Konsequenzen bis in den Persischen Golf und bis in die Ostsee.
Wie problematisch ist vor diesem Hintergrund, dass die chinesische Marine insgesamt gerechnet längst mehr Schiffe hat als die amerikanische Navy?