News folgen

Union und SPD wollen die Mütterrente ausweiten – und entfachen damit eine alte Debatte neu. Kritiker sprechen von einer teuren Wohltat, VdK-Präsidentin Verena Bentele sieht das anders – knüpft ihre Zustimmung aber an Bedingungen.

Millionen Mütter, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, sollen künftig mehr Rente bekommen. Die sogenannte Mütterrente soll auch für diese Mütter aufgestockt werden – von derzeit 2,5 auf 3 Entgeltpunkte pro Kind (mehr dazu hier). Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK, begrüßt das. Für sie geht es um Respekt, Anerkennung und Gerechtigkeit gegenüber einer Generation, die viel geleistet habe.

Doch die Kritik ist groß: Ökonomen warnen vor Milliardenkosten, fehlender Zielgenauigkeit und verpassten Chancen für echte Reformen. Auch Studien zeigen: Die Mütterrente lindert zwar Altersarmut, löst das Problem aber nicht dauerhaft. Auch Bentele hält nicht alles an dem Vorhaben von Schwarz-Rot für klug.

Im Interview mit t-online erklärt sie, wie sie die Mütterrente finanzieren würde, wie man die Rente generell gerechter gestalten könnte – und welche Reform zusätzlich kommen muss, damit die Verbesserungen auch bei den Frauen ankommen, die sie besonders nötig haben.

t-online: Frau Bentele, Union und SPD wollen die Mütterrente ausbauen. Viele sprechen von einem teuren Wahlgeschenk, Sie halten es für längst überfällig – warum?

Verena Bentele: Weil es um einen Ausgleich jahrzehntelanger struktureller Benachteiligung geht. Frauen, die vor 1992 Kinder bekommen haben, hatten kaum Möglichkeiten, Familie und Beruf zu vereinen. Es fehlte noch mehr als heute an Betreuungsplätzen, und das Rollenbild war stark darauf ausgerichtet, dass der Mann das Geld erwirtschaftet und die Frau die Kinder erzieht. Viele dieser Frauen konnten nicht arbeiten – oder nur in Teilzeit, zu schlechten Bedingungen. Die Folgen sehen wir heute: Altersarmut ist vor allem ein „weibliches Problem“. Es ist höchste Zeit, etwas zu tun.

Gegner sagen: Die Ausweitung der Mütterrente hat keine steuernde Wirkung, da sie an Menschen gezahlt wird, deren Kinder längst erwachsen sind. Wäre es nicht sinnvoller, stärker in Kitas, Ganztagsschulen und bessere Arbeitsbedingungen für Mütter zu investieren, um die Rentenlücke von Frauen zu schließen?

Wir müssen beides tun. Einerseits gilt es, heutige Mütter zu unterstützen – mit flächendeckender Kinderbetreuung, mehr Pflegeangeboten und besseren Jobbedingungen. Andererseits dürfen wir nicht vergessen: Die Rentenlücke entsteht durch Entscheidungen, die auf strukturellen Nachteilen beruhen. Wer damals nicht arbeiten konnte, soll dafür heute nicht bestraft werden.

Die Mütterrente gibt es seit dem 1. Januar 2014. Sie ist keine eigenständige Rente, sondern erhöht die Rente von Menschen, die vor 1992 geborene Kinder erzogen haben. Das betrifft besonders Mütter, da sie historisch gesehen häufiger die Kindererziehung übernommen haben. Seit 2014 wurden bis zu zwei Jahre Erziehungszeit pro Kind anerkannt, also bis zu zwei Rentenpunkte gutgeschrieben (Mütterrente I). Zuvor war ab 1986 nur ein Rentenpunkt pro Kind drin. 2019 folgte eine zweite Verbesserung: Seitdem werden bis zu 2,5 Rentenpunkte pro Kind anerkannt (Mütterrente II). Für seit 1992 geborene Kinder gibt es schon seit 1992 bis zu drei Rentenpunkte. Die nun geplante Mütterrente III soll drei Rentenpunkte für alle bringen. Lesen Sie hier, was Rentenpunkte mit Ihrer späteren Rente zu tun haben.

Heutige Mütter bekommen drei Rentenpunkte pro Kind und Elterngeld, wenn sie nicht arbeiten. Daneben wird in Kitas und Betreuung investiert, damit die Mütter schneller wieder arbeiten. Ist diese doppelte Förderung nicht unlogisch?

Das wäre nur dann unlogisch, wenn wir in einer idealen Welt leben würden. Aber wir haben auch heute weder genügend Kitas noch ausreichend Pflegeplätze. Sorgearbeit ist nach wie vor systemrelevant. Wenn wir wollen, dass mehr Menschen arbeiten, müssen wir ihnen die Rahmenbedingungen dafür bieten. Und gleichzeitig müssen wir anerkennen, dass unbezahlte Care-Arbeit eine gesellschaftliche Leistung ist.

Sie sind dafür, die Mütterrente komplett aus Steuermitteln zu finanzieren, statt die Kosten allein den Beitragszahlern aufzubürden. Warum?

Wir fänden es grundlegend ungerecht, wenn die Mütterrente aus Beitragsmitteln der gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt werden würde. Denn die Erziehungsleistung kommt der gesamten Gesellschaft zugute – auch Beamten, Selbstständigen und Gutverdienenden, die nicht einzahlen. Es gibt aber noch ein Problem mit den bisherigen Plänen.

Die Mütterrente kommt ausgerechnet bei den Frauen nicht an, die sie am dringendsten bräuchten. Denn viele von ihnen müssen ihre kleinen Renten mit Grundsicherung aufstocken. Und dort wird die Mütterrente unter Umständen voll angerechnet. Nur wer auf mindestens 33 Beitragsjahre kommt, profitiert von einem Freibetrag bei der Grundsicherung. Das schaffen viele Frauen aber nicht. Die höhere Mütterrente würde bei ihnen also dazu führen, dass die Grundsicherung sinkt. Wer Altersarmut verhindern will, muss diesen Freibetrag ausweiten.

Seit 2021 können Rentnerinnen und Rentner, die mindestens 33 Jahre an sogenannten Grundrentenzeiten nachweisen können, einen zusätzlichen Freibetrag bei der Grundsicherung geltend machen. Dieser liegt aktuell bei 281,50 Euro monatlich. Bis zu diesem Betrag wird die Rente nicht auf die Grundsicherung angerechnet.

Immerhin knapp zehn Millionen Renten würden durch die reformierte Mütterrente steigen – doch auch die Kosten sind mit 4,45 Milliarden Euro jährlich hoch. Ist das noch verantwortbar in Zeiten, in denen an anderen Stellen gespart werden muss?

Wenn man will, findet man Mittel. Subventionen wie etwa bei E-Autos sollten nicht für alle gleich hoch, sondern sozial gestaffelt sein. Und: Der Staat hat Spielräume – zum Beispiel durch eine gerechtere Besteuerung von Vermögen, Kapitalerträgen oder großen Erbschaften. Wir haben ausgerechnet, dass man so jährlich bis zu 100 Milliarden Euro einnehmen könnte.

Aktie.
Die mobile Version verlassen