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Auf der Suche nach einer besseren Work-Life-Balance entdecken viele junge Menschen das Konzept der „Mini-Rente“. Doch dieser Trend ist nicht ohne finanzielle Risiken.

Annabel Denisenko hatte genug. Notaufnahme, 12-Stunden-Schichten, Stress ohne Ende. Also tat die 24-jährige Krankenschwester, was moderne Work-Life-Optimierer predigen: Sie verabschiedete sich von ihrem Job und nahm sich eine „Mini-Rente“. Einfach mal raus, das Leben genießen, ohne die mühselige Last des Geldverdienens. Klingt traumhaft? Ist es vielleicht auch – wenn man sich den Traum leisten kann.

Das Konzept der sogenannten Micro-Retirements, zu Deutsch: Mini-Rente oder Kleinstpension, ist schnell erklärt: Anstatt bis 67 durchzuschuften und dann endlich mit körperlichen Beschwerden die Weltreise anzutreten, nimmt man sich schon in jungen Jahren immer wieder längere Auszeiten. Diese Pausen können einige Monate oder Jahre dauern und dienen entweder der Selbstfindung, dem Reisen oder einfach der Erholung.

Der Trend zum Micro-Retirement hat mehrere Ursprünge. Zum einen haben jüngere Generationen wenig Lust, sich 40 Jahre lang abzuarbeiten, um am Ende mit dem goldenen Kugelschreiber in die Altersarmut zu gleiten. Sie legen vermehrt Wert auf Work-Life-Balance und mentale Gesundheit. Längere Auszeiten werden als Möglichkeit gesehen, Burn-out vorzubeugen und sinnstiftende Dinge zu tun.

Zudem hat die Covid-19-Pandemie flexible Arbeitsmodelle und Remote-Arbeit gefördert, was es vielen ermöglicht, ortsunabhängig zu arbeiten und somit auch längere Pausen einzulegen. Und nicht zuletzt wird der Trend durch soziale Medien verstärkt. Plattformen wie TikTok und YouTube dienen als Austauschplattformen, auf denen junge Menschen ihre Erfahrungen mit Micro-Retirements teilen und andere inspirieren, ähnliche Schritte zu unternehmen.

Die Idee des frühen Ausstiegs aus der Tretmühle ist nicht neu. Die sogenannte „Fire“-Bewegung (Financial Independence, Retire Early – was so viel heißt wie finanzielle Unabhängigkeit, vorzeitiger Ruhestand) verfolgt das Ziel, durch extremes Sparen und Investieren frühzeitig finanziell frei zu werden. Klingt einfach: Wer mit 30 genug Geld auf dem Konto hat, muss nicht mehr arbeiten. Das Problem? Die meisten Menschen haben weder die finanziellen Möglichkeiten noch Lust, mit Mitte 20 ihre gesamte Existenz in ETFs und Dividendenaktien anzulegen.

Dann gibt es noch den Bestsellerautor Timothy Ferriss und sein Buch „Die 4-Stunden-Woche“. Laut ihm ist der Weg aus dem Hamsterrad ganz einfach: Automatisierung, Outsourcing, passives Einkommen. Man müsse nur klug delegieren, dann kann man sich entspannt zurücklehnen. Doch was Ferriss nicht sagt: Für die meisten Menschen, die in festen Jobs arbeiten und eine Familie ernähren müssen, ist das Modell nicht praktikabel.

Nicht jeder kann einfach auf Pause drücken und seine Arbeit für einige Wochen oder Monate ruhen lassen. Für einige Berufsgruppen könnte das Konzept allerdings besser funktionieren als für andere. Beispielsweise könnten Unternehmer und Investoren, digitale Nomaden mit skalierbaren Geschäftsmodellen oder Selbstständige mit hohem Einkommen von Micro-Retirements profitieren.

Ebenso hochqualifizierte Freiberufler in Branchen wie IT, Design oder Beratung, die projektbezogen arbeiten und leicht wieder eine Beschäftigung finden, könnten sich längere Auszeiten nehmen, ohne finanzielle Einbußen hinnehmen zu müssen. Für sparsame Minimalisten, die von wenig leben, und Menschen mit finanziellen Rücklagen oder wohlhabenden Eltern könnten traditionelle 9-to-5-Jobs aufbrechen und ein alternatives Lebensmodell einfordern.

Als Konzept für den durchschnittlichen Arbeitnehmer, der ein stabiles Einkommen für den Ruhestand aufbauen muss, taugt Ferriss´ Ansatz wenig. Wer früh große Pausen einlegt, ohne finanzielles Polster, riskiert Altersarmut – eine unbequeme Wahrheit, die der Autor in seinem Buch ausspart.

Gerade in den jungen, anständig bezahlten Arbeitsjahren können Micro-Retirements die langfristige finanzielle Sicherheit gefährden. Wer regelmäßig längere Pausen macht, verzichtet nicht nur auf Einkommen, sondern auch auf Arbeitgeberbeiträge zur Rente und mögliche Zinseszinseffekte bei Investitionen.

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