
Die Welt blickt heute auf Berlin. Noch nie schien ein Frieden für die Ukraine so greifbar nahe wie an diesem Montag. Die Europäer melden sich als Akteure zurück. Nicht zuletzt dank des deutschen Kanzlers.
Politik ist das Bohren dicker Bretter, hat mal einer gesagt. Das stimmt auch, ist aber nur die halbe Wahrheit. Derselbe Max Weber, der dieser Sentenz in seinem Klassiker „Politik als Beruf“ Flügel verlieh, hat deshalb auch darüber sinniert, dass Charisma, also am Ende die Inszenierung des einzelnen Politikers als Person, zur Kunst des Politischen gehört.
In diesem Sinne kann man spätestens an diesem denkwürdigen Montag in Berlin festhalten: Mag Friedrich Merz in seiner Koalition von Anbeginn auf schwankendem Grund stehen, so hat er es doch vermocht, in den ersten neun Monaten als deutscher Bundeskanzler zur Führungsfigur des freien Westens in dessen europäischem Teil geworden zu sein.
Alle, aber auch wirklich alle wichtigen Staats- und Regierungschefs der EU inklusive des britischen Premiers Keir Starmer und des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sind zu den Gesprächen über eine Friedenslösung nach Berlin gekommen. Es erscheint zwar unwahrscheinlich, dass im Laufe des Tages oder bis morgen früh etwas auf dem Tisch liegt, das einerseits der territorialen Integrität der Ukraine und deren existenziellen Sicherheitsinteressen entspricht und zugleich den USA und dem Aggressor Russland Korridore für weitere Verhandlungen offen hält.
Vor diesem Hintergrund ist es schon ein Wert an sich, dass sich die Europäer unter Friedrich Merz zurück ins Spiel gebracht haben – nach dem unseligen 28-Punkte-Plan, der ganz ohne ihr Zutun den Amerikanern von Russland in den Block diktiert worden war. Und so berechtigt die Frage ist, welche Legitimität und Fachkompetenz eigentlich die beiden US-Chefunterhändler Jared Kushner und Steve Witkoff aufweisen. Sie sind mit am Tisch im Kanzleramt, die transatlantische Brücke ist also geschlagen.
Es ist kein Wiener Kongress, der da heute in Berlin stattfindet. Und doch wird gerade Europa neu arrondiert. Es geht dabei tatsächlich um mehr als die umkämpften Ostgebiete der Ukraine, die sich Russland einverleiben möchte, und um mehr als etwaige Konzessionen territorialer Natur seitens der Ukraine. Es geht darum, dem Kriegsherrn im Kreml zu zeigen, dass Europa von Italiens Stiefelspitze bis hoch zum Polarkreis Finnlands zusammensteht und der Ukraine zu ihrem Recht verhilft.
Die Europäische Union gibt oft Anlass, an ihrer Trägheit und ihren Fliehkräften zu verzweifeln. Aber in diesen vielleicht historischen Tagen zeigt sie sich geschlossen wie lange nicht. Daran hat der deutsche Bundeskanzler mit seiner Entschlossenheit, seinem klaren Kompass und seiner Willenskraft einen entscheidenden Anteil.