KI wird immer wichtiger in der Herzmedizin. Sie erkennt eine Herzschwäche, bevor Symptome auftreten – und erstellt genauere Prognosen als der Arzt.

Studien zeigen, dass intelligente Systeme sogar erfahrene Kardiologen bei der Analyse von Herz-Ultraschall-Daten übertreffen. Sie erkennen Risiken zu einem früheren Zeitpunkt und können zuverlässig voraussagen, ob ein Patient eine Herzschwäche entwickeln wird.

Professor Holger Thiele, Ärztlicher Direktor der Universitätsklinik für Kardiologie am Herzzentrum Leipzig, forscht schon seit Jahren zum Einsatz der Künstlichen Intelligenz in der Herzmedizin. Im Gespräch mit t-online erzählt der Kardiologe, welche Potenziale die neuen Technologien haben, wo die Risiken liegen und wie sich die Rolle des Arztes in der Zukunft ändern könnte.

t-online: Künstliche Intelligenz in der Herzmedizin: Wie muss man sich das vorstellen?

Professor Holger Thiele: Die Einsatzbereiche sind vielfältig. Es gibt mehrere Stufen. Die erste betrifft den Aspekt der Künstlichen Intelligenz und als Zweites das maschinelle Lernen. Ein Beispiel hierfür sind bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomografie (MRT) oder Echo-Kardiografie des Herzens. Das KI-gesteuerte System erkennt genau, wo die Grenzen zwischen dem Blut und dem Herzmuskel liegen. Früher musste das ein Arzt noch per Hand einzeichnen, heute macht das die KI automatisch. Das spart viel Zeit.

Im Bereich der Diagnostik löst die KI sehr viel komplexere Aufgaben. Wie funktioniert das?

Die KI als dritte Stufe ist in der Lage, eigene neuronale Netzwerke aufzubauen und lernt rasant dazu. Man nennt das „Deep Neuronal Learning“, auf Deutsch: vertieftes neuronales Lernen. Es stellt die höchste Stufe des maschinellen Lernens dar und geht weit über das hinaus, was ein Arzt mit bloßem Auge zum Beispiel auf einem EKG erkennen könnte. Anhand der Daten kann sogar festgestellt werden an einem mit bloßem Auge normalen EKG, ob ein Patient ein Vorhofflimmern hatte oder Vorhofflimmern bekommen wird. Für einen Arzt wäre das anhand eines einzigen EKGs unmöglich.

Die KI ist dem Arzt also überlegen?

Was diesen Punkt angeht, ja. Im Moment befinden wir uns allerdings noch in einer experimentellen Phase. In der ärztlichen Praxis wird die Methode aus Datenschutzgründen oder wegen fehlender Zertifizierungen bislang noch nicht angewandt. Ich gehe aber davon aus, dass sie sich in der Zukunft durchsetzen wird.

(Quelle: Dominik Wolf)

Professor Dr. Holger Thiele ist Direktor der Universitätsklinik für Kardiologie am Herzzentrum Leipzig. Zu seinen Schwerpunkten gehören unter anderem Themen rund um Digitalisierung und Künstliche Intelligenz in der Medizin. Der Kardiologe ist außerdem Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftung und wurde für die Amtsperiode 2023 bis 2025 zum Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) gewählt.

Wie können herzschwache Patienten davon profitieren?

Die EKG-Diagnostik mithilfe Künstlicher Intelligenz kann Patienten mit einem erhöhten Risiko für Herzschwäche früher identifizieren. Auch eine versteckte Herzinsuffizienz lässt sich frühzeitig erkennen. Wir haben so die Chance, individuelle Therapien anzubieten. Das ist zum Beispiel für Menschen mit einem sehr hohen Risiko für Herzinsuffizienz wichtig, die intensivere Therapiemaßnahmen benötigen.

Ist die ärztliche Diagnose ein Auslaufmodell?

Nein. Diagnosen müssen immer vom Arzt überprüft werden. Seine Aufgabe wird es bleiben, die gewonnenen Informationen zusammenzuführen und zu bewerten. Ich könnte mir allerdings gut vorstellen, dass das KI-gesteuerte EKG als Screeningtool eingesetzt werden könnte, um Herzinsuffizienz frühzeitig zu erkennen. Das „Deep Learning“ der Programme ist mittlerweile schon so gut, dass es erkennt, ob die Herzleistung eingeschränkt ist oder Risiken bestehen. Auf dieser Basis könnte der Arzt dann weitere diagnostische Schritte einleiten und den Patienten zur Echokardiografie schicken.

Welche Prognosen kann die KI sonst noch auf der Basis des „Deep Learning“ machen?

Eine aktuelle Untersuchung zeigt, dass die KI anhand der Blutwerte konkrete Angaben zur Lebenserwartung eines herzkranken Patienten machen und sagen kann, ob der Mensch in den nächsten zehn Jahren noch lebt.

Die Sicherheit solcher Aussagen liegt laut Studien bei über 90 Prozent. Für den Patienten haben sie eine enorme Tragweite.

Das stimmt. Momentan wird auch viel darüber diskutiert, wie man dieses aus Daten gewonnene Wissen einsetzen kann, wie man damit umgehen und den betroffenen Patienten aufklären sollte. Dabei spielen auch ethische Fragen eine Rolle, die zuvor noch geklärt werden müssen.

Wird der Arzt irgendwann zum Assistenten der KI?

Nein, das Gegenteil wird der Fall sein. Die KI ist der Assistent des Arztes, indem sie ihm zusätzliche, wichtige Informationen zur Verfügung stellt und ihn entlastet. Ein Beispiel hierfür ist die Medikamentenverordnung. Wenn man alle Daten digital in einem System erfasst hat, lassen sich Wechsel- und Nebenwirkungen vermeiden.

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