Kevin Kühnert gibt eine „gewisse Ohnmacht“ angesichts des SPD-Sinkflugs zu. Ein Experte erklärt Lanz, warum Kinder, die zur Schule gefahren werden, AfD wählen.

Die SPD-Spitze steht in gewisser Hinsicht ohnmächtig vor den Stimmverlusten. Es gebe bei vielen Menschen einen „Grundsatzverdruss“, der sich auch mit besserer Politik nicht ändern lasse, sagte Generalsekretär Kevin Kühnert am Donnerstagabend bei „Markus Lanz“. Generationenforscher Rüdiger Maas schien seine These zu stützen. Denn laut ihm sind es gerade auch die behütet aufgewachsenen Jugendlichen, die der AfD ihre Stimmen geben.

  • Kevin Kühnert, SPD-Generalsekretär
  • Corinna Milborn, Politologin
  • Robin Alexander, „Welt“-Journalist
  • Rüdiger Maas, Generationenforscher

Sei die AfD etwa die neue Partei für Arbeiter, die SPD hingegen die Partei der Bürgergeldempfänger?, wollte Lanz am Tag der Deutschen Einheit von Maas wissen. Der warnte davor, die Erfolge der AfD gerade bei jungen Menschen als „Protestwahlen“ zu unterschätzen. Vielmehr zeige sich hier der Frust einer Generation, die besonders behütet aufgewachsen, dabei aber auch zur Unmündigkeit erzogen worden sei.

„Wir unterschätzen, dass wenn ich mein Leben lang in die Schule gefahren werde, mein Leben lang mir alles abgenommen wird, ich auch nie gelernt habe, meinen Handlungsspielraum wahrzunehmen. Und da habe ich so ein Gefühl von Ohnmacht, wenn ich das nicht kann“, sagte der Psychologe bei „Lanz“. Junge Menschen würden deshalb bereits an Kleinigkeiten zerbrechen.

Laut dem Forscher gibt es zudem oft die Erwartung, dass nach den Eltern der Staat die Verantwortung übernimmt, etwa bei der Suche nach Wohnung, Ausbildungsplatz oder Job. Passiere das nicht, führe das zu Ressentiments. In Umfragen gaben laut Maas 40 Prozent der jungen Wähler an, die Regierung arbeite gegen sie oder zumindest nicht für sie. Bei den AfD-Anhängern seien es 70 Prozent gewesen.

Unabhängig von der Parteipräferenz nannte laut Maas jeder vierte junge Wähler die Migration als Hauptproblem. Eine Erklärung des Generationenforschers: Jugendliche werden in Schulen, Diskotheken oder Freibad viel stärker als berufstätige Erwachsene mit negativen Folgen von Migration konfrontiert. Soziale Medien täten dann ein Übriges, um die Wirklichkeit der jungen Menschen zu verzerren, warnte er.

Alexander: Scholz soll Richtlinienkompetenz nutzen

„Sie haben etwas gesagt, was echt fatal ist“, wollte Robin Alexander Kühnerts Ohnmachtsgefühl nicht unkommentiert stehen lassen. Fatalismus angesichts vermeintlich ohnehin kaum zu überzeugender Wähler ist für den stellvertretenden Chefredakteur der „Welt“ höchst gefährlich für die Demokratie. „Das geht nicht, dass die Ampel sagt: Wir sind k.o. und jetzt warten wir ein Jahr“, sagte er.

Alexander forderte von Regierungschef Olaf Scholz (SPD), die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers auch zu nutzen. Amtsvorgänger Gerhard Schörder (SPD) habe in einer Krise mit der Agenda 2010 reagiert. „Das wird nie mehr besser“, sei keine Art, Politik zu machen, warnte Alexander: „Wenn der Kanzler keinen neuen Plan mehr hat, dann müssen wir eigentlich einen neuen Kanzler finden.“

Dass die AfD nun die Partei der Arbeiter geworden ist, wollte Kühnert dann bei „Markus Lanz“ doch nicht so stehen lassen. „Die Arbeitsplätze bei VW gehen nicht flöten?“, fragte der Moderator nach. Kühnert versprach nichts. Er versicherte jedoch, die Politik werde sich für die Arbeitsplätze starkmachen – und verwies auf die Meyer Werft, bei der das Land Niedersachsen und der Bund Jobs mit Krediten abgesichert hätten.

„Wir nehmen diese Verantwortung für Industriearbeitsplätze schon wahr“, wehrte sich Kühnert gegen Kritik von Lanz. Dass der SPD-Generalsekretär bei den CEOs börsennotierter Konzerne „Standortpatriotismus und Ehrgefühl“ einforderte, um Arbeitsplätze in Deutschland zu halten, wurde von dem Moderator hingegen eher belächelt.

Kühnert räumte in der ZDF-Talkshow ein, dass der anhaltende Streit zwischen den Ampel-Koalitionären nicht zur Stärkung des Vertrauens in die Demokratie und die Parteien der Mitte beiträgt. Tatsächlich können junge Menschen laut Maas kaum noch etwas mit der Aufteilung des Parteienspektrums in links und rechts anfangen: „Für sie ist die Afd ist eine nahbare Partei der konservativen Mitte.“

Die Wiener Journalistin und Fernsehmoderatorin Corinna Milborn sah nach dem Wahlerfolg der FPÖ eine ähnliche Entwicklung in ihrem Land. Weniger links oder rechts, sondern die Nähe zum vermeintlichen Establishment sei für junge Menschen entscheidend, mit Aussagen wie „Die sind das System“.

Alexander warf dem Bundeskanzler vor, diese Abgrenzung zu angeblichen Eliten – und seien es nur Rentenexperten – übernommen zu haben. Scholz wolle damit Sympathiepunkte sammeln. Der „Welt“-Journalist bezweifelte, dass der Sozialdemokrat sich dadurch volksnäher gerieren kann. „Ich glaube nicht, dass ein Bundeskanzler erfolgreich erzählen kann, er würde nicht zum Establishment gehören“, so Alexander.

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