Auch Nato informiert

Klimaforscher schreiben Brandbrief: Diese Gefahr wird unterschätzt


Aktualisiert am 24.10.2024 – 03:28 UhrLesedauer: 3 Min.

Stürmische Wellen im Atlantik: In der Arktis könnte es einen gefährlichen Zusammenbruch einer Strömung geben (Symbolbild). (Quelle: remotevfx)

In der Arktis macht die Atlantikströmung Forschern Sorgen. Weil sie abkühlt, befürchten sie einen Zusammenbruch mit drastischen Folgen.

Klimawissenschaftler aus der ganzen Welt haben einen Alarmbrief an den Nordischen Ministerrat geschrieben. Die 44 Forscher, die zu den führenden Klimatologen zählen, warnen die Arktis-Anrainerstaaten vor einer gefährlichen Entwicklung in der Atlantikströmung. Dem Rat gehören Dänemark, Norwegen, Finnland, Schweden, Island, Grönland und die Färöer-Inseln an.

„Wir, die Unterzeichnenden, sind Wissenschaftler, die auf dem Gebiet der Klimaforschung tätig sind, und halten es für dringend erforderlich, den Nordischen Ministerrat auf die ernste Gefahr einer größeren Änderung der Ozeanzirkulation im Atlantik aufmerksam zu machen“, heißt in dem Schreiben.

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„Wissenschaftliche Erkenntnisse bestätigen zunehmend, dass die Arktis eine Schlüsselregion für Kipppunkte im globalen Klimasystem ist. In dieser Region gibt es mehrere besonders empfindliche Systeme: das grönländische Eisschild, das Meereis in der Barentssee, die Permafrostböden der nördlichen Wälder, die Tiefenwasserbildung im subpolaren Wirbel und die Atlantische meridionale Umwälzzirkulation (Amoc)“, erklären die Forscher in dem Dokument, das auch der deutsche Klimaforscher Stefan Rahmsdorf unterzeichnet hat.

Die Amoc – eine Art Förderband warmen Wassers im Nordatlantik – ist dabei besonders wichtig. Sie transportiert Wärme nach Norden und beeinflusst damit die Lebensbedingungen nicht nur in der Arktis, sondern weit darüber hinaus. Forscher warnen, dass dieses System einen kritischen Punkt erreichen könnte, an dem es sich grundlegend und möglicherweise unumkehrbar verändert.

Eine Grafik zeigte schon 2017, dass sich die Region im Norden stark abkühlt. (Quelle: Science)

Wenn eines der Systeme im Norden kippt, könnte das einen Dominoeffekt auslösen, warnen die Forscher in ihrem Brief. Das Amoc-System liefert zum Beispiel 20 Prozent des Wassers für den Golfstrom, bringt aber vor allem warmes Wasser in dieses System.

Gegenüber dem britischen „Guardian“ führte der Potsdamer Klimaforscher Stefan Rahmsdorf aus, warum Wissenschaftler so besorgt sind. Seit etwa 60 Jahren weiß man, dass sich das System abschwächt. Ein Zeichen sei eine Kälteblase, die sich im Nordatlantik entwickelt hat. Es sei der einzige Ort der Welt, der sich in den vergangenen 20 Jahren abkühlte. Das spreche dafür, dass weniger Wärme in die Region transportiert werde. „Genau das, was die Klimamodelle als Reaktion auf die Verlangsamung des Amoc infolge der Treibhausgasemissionen vorausgesagt haben“, so Rahmsdorf.

Es gebe auch weitere Zeichen, dass sich die Zirkulation abschwächt. Dass sich an der nordamerikanischen Ostküste die Temperaturen stark erhöhen, sei ebenfalls auf die Abschwächung in der Arktis zurückzuführen. Sie drückt den Golfstrom näher an die Küstengebiete.

Außerdem hat man festgestellt, dass der Salzgehalt sinkt. Auch dabei spielt Amoc eine Rolle: Er bringt weniger salzhaltiges Wasser aus den Tropen und Wärme von den subtropischen Regionen nach Norden.

Das Problem dabei: Wenn Wasser weniger Salz enthält, sinkt es nicht so einfach ab. „Doch genau solches absinkendes Wasser treibt das Amoc-System an“, sagt der Forscher. Mehr frisches Wasser bedeute, dass sich das System verlangsame.

Auf der Plattform X, wo Rahmsdorf ebenfalls über den Brief berichtete, riet ein Nutzer, dass auch die Nato über solche Szenarien informiert werden müsse. „Sie wissen es, denn sie haben mich bereits letztes Jahr eingeladen und ich habe auf ihrem Workshop eine Grundsatzrede gehalten“, antwortete Rahmsdorf.

Wann genau das Amoc-System zusammenbricht (und ob überhaupt), können die Forscher derzeit nicht sagen. Sie sind sich aber sicher, dass ein Zusammenbruch noch in diesem Jahrhundert möglich ist. „Und es besteht eine noch größere Möglichkeit, dass ein Zusammenbruch in diesem Jahrhundert ausgelöst wird, sich aber erst im nächsten Jahrhundert voll entfaltet“, heißt es in dem Schreiben. „Selbst bei einer mittleren Eintrittswahrscheinlichkeit sind wir der Ansicht, dass angesichts der katastrophalen Folgen, die die gesamte Welt auf Jahrhunderte hinaus betreffen würden, mehr getan werden muss, um dieses Risiko zu minimieren“.

Die Amoc ist nicht das einzige System, das als sogenanntes Kippelement diskutiert wird. Ende vergangenen Jahres stellte der „Global Tipping Points Report“ fünf große Natursysteme heraus, die vor möglicherweise unumkehrbaren Umwälzungen stehen. Allerdings ist es im Einzelfall schwierig bis unmöglich, konkret zu benennen, wie nah ein Kippelement tatsächlich am Kollaps ist. Zu viele Komponenten spielen eine Rolle.

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