Das Debakel im Thüringer Parlament hätte vermieden werden können. Fahrlässigkeit und Hochmut bereiteten der AfD eine Bühne für Machtspiele.
Der schlimmstmögliche und zugleich der wahrscheinlichste Fall ist eingetreten: Die Parteien im Thüringer Landtag haben sich bei ihrer ersten Sitzung völlig überworfen, die Sitzung musste wegen eines Streits über die Tagesordnung abgebrochen werden. Das Landesverfassungsgericht muss nun eine Entscheidung fällen – so lange ist das Thüringer Parlament nicht arbeitsfähig.
Die AfD zeigte bei der Sitzung ihre autoritäre Seite. Ihr Alterspräsident Jürgen Treutler, der die Sitzung leitete, agierte nicht überparteilich, sondern vertrat alleinig die Linie der AfD. Er erteilte anderen Abgeordneten nicht das Rederecht, verstieß gegen gemachte Absprachen zwischen den Parteien, erteilte Kritikern Ordnungsrufe und drohte sogar damit, den Abgeordneten im Plenum einfach die Mikrofone abzuschalten.
Das war nicht anders zu erwarten vom Vertreter einer Partei, die vom Verfassungsschutz in Thüringen zu Recht als gesichert rechtsextrem beobachtet wird und deswegen von allen anderen Parteien kategorisch von Ämtern in den Parlamenten ferngehalten wird. Es war der große Tag der Revanche für die AfD: Wenn nicht mit euch, dann eben gegen euch. Jetzt sind wir stark genug.
Das Bittere daran ist: All das wäre vermeidbar gewesen. Denn so kritikwürdig Treutlers Vorgehen als Alterspräsident auch ist – die Position der AfD ist in diesem Fall nicht – wie so oft – absurd. Sie nutzt lediglich aus, dass die Geschäftsordnung des Landtags an manchen Stellen nicht deutlich ist und man sich in Thüringen nun mit einer AfD als stärkster Kraft auf politischem Neuland bewegt.
Im Zentrum stehen dabei zwei recht dröge und simple Verfahrensfragen: Darf die Geschäftsordnung am Tag der ersten Sitzung vom Plenum geändert werden, bevor der Landtagspräsident, das Oberhaupt des Parlaments, gewählt ist? Und: Muss der Landtagspräsident aus Reihen der stärksten Partei gewählt werden – oder können auch andere Parteien Kandidaten vorschlagen? Schon über die erste Frage zerlegte sich das Parlament am Donnerstag, bis zur zweiten, noch wesentlicheren Frage kam man gar nicht.
Beide Unklarheiten hätten vorab ausgeräumt werden können. Die Grünen hatten Ende 2023 immerhin darauf gedrängt, die Geschäftsordnung in parlamentarischer Abstimmung in der zweiten Frage klarer zu formulieren, ihr dort die Deutungsvielfalt zu nehmen. Doch das scheiterte – und zwar ausgerechnet an der CDU, die nun besonders laut gegen das Vorgehen der AfD protestiert.
Warum die CDU diesen simplen und einleuchtenden Vorschlag ablehnte? Aus den Reihen der Grünen heißt es: Weil man bei der CDU der Überzeugung gewesen sei, dass man selbst die AfD bei der Landtagswahl schon schlage und stärkste Kraft werde. Die anderen Parteien allerdings hätten wohl auch einiges mehr an Dampf machen können.
Das also ist der Mix, der Thüringen jetzt das Unheil bringt: Eine Mischung aus Faulheit, Hochmut und Fahrlässigkeit auf der Seite der anderen Parteien und ein unbedingter Wille zur Macht auf Seite der AfD. Vielleicht haben die Abgeordneten, allen voran die der CDU, eines aus der Katastrophensitzung gelernt: Überschätzt euch nicht – und unterschätzt nicht die AfD.
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