Der Parteilinke Matthias Miersch soll als neuer Generalsekretär den Bundestagswahlkampf der SPD leiten und das Kanzleramt verteidigen. Eine fast unlösbare Aufgabe – oder?

Die Schocknachricht ereilte die Genossen am frühen Nachmittag. Der Generalsekretär der SPD, Kevin Kühnert, tritt mit sofortiger Wirkung zurück und wird auch nicht mehr für den Bundestag kandidieren, hieß es in einer Erklärung. Der Grund, so war schnell zu hören: eine psychische Erkrankung Kühnerts. Der 35-Jährige befindet sich derzeit in medizinischer Behandlung.

Die Nachfolge hatte die SPD schnell geregelt: Nur wenige Stunden später präsentierten die Parteichefs Lars Klingbeil und Saskia Esken ihren Gremien einen Nachfolger: den Niedersachsen Matthias Miersch. Der Fraktionsvize und Chef des SPD-Bezirks Hannover soll bis 2025 kommissarisch das Amt des Generalsekretärs bekleiden.

Damit macht die SPD-Spitze einen klugen Zug und beweist Mut zum schnellen Handeln: Das plötzliche Vakuum, das Kühnerts Rücktritt hinterließ und viele in der Partei verunsicherte, wurde keinen halben Tag später geschlossen. Es blieb kaum Zeit, über die Auswirkungen auf das Seelenleben der Sozialdemokratie zu sinnieren, da wurde bereits der Neue aus dem Hut gezaubert.

Zumal die Parteichefs mit Miersch einen erfahrenen Politprofi gefunden haben. Der 55-Jährige ist Klingbeil-Vertrauter, sitzt seit fast zwei Jahrzehnten im Bundestag und gilt als gut vernetzt. Miersch wurden zudem Chancen eingeräumt, die Nachfolge von Fraktionschef Rolf Mützenich anzutreten, sollte dieser seinen Platz freimachen.

Miersch nennt sich selbst einen „selbstbewussten Abgeordneten“, der harte Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner nicht scheut und mit Leidenschaft seine Themen vertritt. Gerade bei seinem Schwerpunktthema, der Energiewende, könnte Miersch die Abteilung Attacke der SPD vorantreiben und verfeinern.

Und auch aus einem anderen Grund ist Miersch eine wohl austarierte Personalie: Mit Kühnert hätte der linke Flügel einen wichtigen Draht zur SPD-Spitze verloren. Nun wird der Verlust mit Miersch nicht nur ausgeglichen, sondern überkompensiert: Denn Miersch ist Co-Sprecher der Parlamentarischen Linken, der linke Fraktionsflügel hat damit eine direkte Anlaufstelle im Willy-Brandt-Haus. Im Vergleich zu Kühnert besitzt Miersch zudem deutlich mehr politische Erfahrung, auch was Wahlkämpfe betrifft.

Auf Miersch wartet nun die fast unlösbare Aufgabe, die SPD aus dem jahrelangen Umfragekeller zu holen und das Kanzleramt zu verteidigen. Derzeit stehen die Sozialdemokraten bei 16 Prozent, weit abgeschlagen hinter der Union mit 31 Prozent und ebenfalls hinter der AfD mit 18 Prozent.

Der neue Generalsekretär muss vor allem beweisen, dass die SPD noch kampagnenfähig ist. In den letzten Monaten lief dabei nicht alles nach Plan: Der „Kampf gegen rechts“ vor der Europawahl verfing kaum bei Wählern, auch der Friedenswahlkampf ging nach hinten los, weil die Botschaften nicht zur Politik des Kanzlers passten. Miersch muss nun frischen Wind in die Parteizentrale bringen, gesucht werden Ideen, Strategien und Botschaften, die die Sozialdemokratie wieder zur relevanten Kraft im Land machen.

Zugleich muss der Neue aber auch viel Innendienst ableisten. Die SPD steckt in einer schweren Krise. Der Frust über den unbeliebten SPD-Kanzler Olaf Scholz hätte vor Kurzem fast in eine offene Rebellion münden können. Die Fliehkräfte der Ampel zerren an der Geduld der Genossen, sozialdemokratische Herzensprojekte werden ausgebremst. Nicht zuletzt droht die Debatte um schärfere Asylgesetze die Partei zu spalten.

Kann Miersch das alles leisten? Er muss es zumindest versuchen. Auch wenn er eher eine Notlösung für den überraschend zurückgetretenen Kevin Kühnert ist, gilt Miersch als kluger Stratege und gut vernetzter Politprofi. Auf genau diese beiden Fähigkeiten kommt es jetzt an.

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