Mit der Kindergrundsicherung droht ein zentrales Projekt der Ampel zu scheitern. Die Koalitionspartner schieben sich gegenseitig die Schuld zu. Es geht inzwischen ums Ganze.

Lisa Paus hat Erfahrungen damit, sich ihre Messlatten hoch aufzulegen und sie dann zu unterlaufen. Schmerzhafte Erfahrungen. Zwölf Milliarden Euro im Jahr wollte Paus mal für die Kindergrundsicherung haben. Bei 2,4 Milliarden Euro landete sie. Kürzlich hielt Paus 5.000 Stellen zusätzlich für notwendig. Jetzt sollen doch weniger reichen. Jedenfalls vielleicht. Irgendwie.

Selbst Parteifreunde, die es gut mit der grünen Familienministerin meinen, halten ihren Messlatten-Limbo inzwischen für einen ihrer größten Fehler.

Ein Fehler, der nun dazu führen könnte, dass Lisa Paus auch ihre wichtigste Messlatte unterläuft. Die hatte sie sich im Mai 2022 aufgelegt, da war sie gerade Ministerin geworden. Der „Spiegel“ fragte sie damals, was ihr gelingen müsse, damit sie ihre Amtszeit als Erfolg werte. Paus antwortete: „Auf jeden Fall eine Kindergrundsicherung, die diesen Namen auch verdient.“

Heute, zwei Jahre später, halten es selbst einige führende Grüne nicht mehr für realistisch, dass die Ampel noch eine vollständige Kindergrundsicherung hinbekommt. SPD und FDP sowieso nicht. Die Frage, die sich inzwischen stellt, lautet: Bekommen sie überhaupt noch etwas hin, das irgendwann mal zu einer Kindergrundsicherung heranwachsen könnte? Eine Baby-Kindergrundsicherung? Irgendeinen Anfang?

Projekt mit machtstrategischer Bedeutung

Lisa Paus hat früh betont, wie wichtig ihr und den Grünen die Kindergrundsicherung ist, und sie hat es oft getan. Sie sei das „wichtigste sozialpolitische Projekt“ der Bundesregierung, sagte Paus immer wieder. Ein echter „Paradigmenwechsel“. Was eben auch bedeutet: Wichtiger als das Bürgergeld, also der Abschied von Hartz IV.

Es ist eine ziemlich selbstbewusste Ansage, die noch etwas anderes andeutet: Die Grünen wollen mit der Kindergrundsicherung nicht nur viele Millionen Kindern aus der Armut holen, sondern ein bisschen auch sich selbst helfen. Das Projekt soll ihr Image als Partei der besserverdienenden Klimaschützer ergänzen durch den Nachweis: Wir Grüne können auch Sozialpolitik. Die Kindergrundsicherung hat für sie machtstrategische Bedeutung.

Es ist eine Erklärung dafür, warum die Reaktionen bei den Grünen inzwischen so emotional ausfallen, wenn es um die Kindergrundsicherung geht. Wie man das eigentlich so vermasseln kann, fragt mancher hinter vorgehaltener Hand. Nur wird statt „vermasseln“ ein Wort benutzt, das eigentlich der Einsamkeit des Badezimmers vorbehalten ist.

Einen wirklich guten Weg, wie sich der Schlamassel auflösen lässt, können sich manche kaum noch vorstellen. Es gehe inzwischen um Gesichtswahrung, heißt es aus dem pragmatischen Realo-Lager. Darum, überhaupt noch irgendetwas hinzukriegen, das irgendwem hilft.

Dass es zuletzt nicht gut gelaufen ist mit Paus‘ Forderung nach 5.000 Stellen, man also auch selbst Verantwortung trägt, bestreitet eigentlich niemand mehr. Doch den Grund für die Misere sehen die meisten Grünen in ihren Koalitionspartnern: Einer FDP, die eine Kindergrundsicherung ohnehin nie gewollt habe. Und einer SPD, die nicht wirklich entschlossen kämpfe, auch deshalb, weil sie keine zweite soziale Partei neben sich dulde.

FDP: Evolution statt Revolution

Bei SPD und FDP sehen sie das naturgemäß etwas anders. Dort werden Lisa Paus und ihr Familienministerium seit Wochen recht offen dafür kritisiert, einfach ein schlechtes Gesetz vorgelegt zu haben. „Unser gemeinsames Ziel war es, weniger Bürokratie für die Familien zu erreichen“, sagt Martin Gassner-Herz von der FDP. „Die Ministerin konnte dem Parlament dazu mit ihrem Gesetzentwurf noch keinen vernünftigen Weg aufzeigen.“

Martin Gassner-Herz kennt sich aus. Sowohl mit dem Gesetz, das er für die FDP im Bundestag als Berichterstatter in allen Details mitverhandelt. Als auch mit der Bürokratie des deutschen Sozialstaats, den er früher beruflich als Mitarbeiter in einem Jobcenter erlebt hat. Er sagt heute: „Wenn die Revolution nicht gelingt, muss Evolution passieren.“

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