Papst Franziskus hat die Kirche geöffnet, doch sein Erbe ist umkämpft. Um seine Nachfolge tobt ein weltweiter Machtkampf. Wird der nächste Pontifex die Kirche einen oder weiter spalten?
Der Vatikan ist längst nicht mehr der uneingeschränkte Machtpol der Kirche – ein „innerkirchlicher Bürgerkrieg“, wie der renommierte Vatikanexperte Marco Politi es nennt, tobt auf globaler Ebene. In seinem Buch „Der Unvollendete“ analysiert er die tiefen Spaltungen innerhalb der katholischen Kirche und stellt die zentrale Frage: Was muss der nächste Papst stemmen und wohin bewegt sich der Vatikan?
Im Interview mit t-online spricht Politi über die inneren Machtkämpfe, die Zukunft der Kirche und das Vermächtnis eines Papstes, der das System herausgefordert hat.
t-online: Ein Papst, der unter Wölfen agiert. In Ihrem neuen Buch „Der Unvollendete“ sprechen Sie von einem Bürgerkrieg im Vatikan, wo alle sich gegenseitig hassen. Wie offen wird dieser Machtkampf ausgetragen?
Marco Politi: Der Machtkampf begann bereits vor zehn Jahren. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten erleben wir eine Situation, in der es in verschiedenen Teilen der Weltkirche organisierte Gruppen gibt, die gegen Papst Franziskus arbeiten. Das begann 2014/2015 während der Familiensynode, als es um die Frage ging, ob wiederverheiratete Geschiedene die Kommunion empfangen dürfen. Johannes Paul II. und Benedikt XVI. hatten dies abgelehnt. Doch als die Ultrakonservativen merkten, dass Franziskus hier eine Neuerung anstoßen könnte – und dies dann auch tat –, organisierten sie sich. Sie sammelten Unterschriften, verbreiteten ihre Kritik in den sozialen Medien und machten den Papst zum Feindbild, weil er angeblich von der „wahren Lehre“ abweicht.
Wer sind die führenden Köpfe dieser Opposition?
Vor allem der amerikanische Kardinal Burke, der deutsche Kardinal Meisner – der mittlerweile verstorben ist –, Kardinal Caffarra aus Italien sowie Kardinal Brandmüller aus Deutschland. Später zeigte sich auch, dass der damalige Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, in Opposition zu Franziskus stand – weshalb der Papst ihn nach fünf Jahren im Amt entließ.
Also ist es ein Kampf zwischen Traditionalisten und Reformbereiten. Ist dieser Konflikt rein theologisch oder steckt mehr dahinter?
Es ist sowohl ein theologischer als auch ein soziologischer Kampf. Interessant ist, dass er nicht mehr hauptsächlich in der Kurie geführt wird, sondern sich auf die Weltkirche verlagert hat. In Nordamerika ist das Episkopat gespalten, in Osteuropa werden Reformen blockiert, und in Afrika hat sich das gesamte Episkopat gegen die Segnung homosexueller Paare ausgesprochen.
Marco Politi wurde 1947 in Rom geboren und gilt als einer der renommiertesten Vatikanexperten. Über 50 Jahre hinweg begleitete er die Pontifikate von Paul VI. bis Franziskus. Politi schrieb unter anderem 20 Jahre für die italienische Tageszeitung „La Repubblica“, später wechselte er zum „Fatto Quotidiano“. Gemeinsam mit dem amerikanischen Starjournalisten Carl Bernstein verfasste er eine politische Biografie des polnischen Papstes Johannes Paul II. 2012 veröffentlichte er die Monografie „Benedikt. Krise eines Pontifikats“. Es folgte „Franziskus unter Wölfen“ und 2020 „Das Franziskus-Komplott“. In dem Buch beschrieb Politi, welche konservativen Netzwerke, Kardinäle und Bischöfe im Vatikan und im Ausland Papst Franziskus bekämpfen.
Wo sehen Sie konkret die tiefsten Spaltungen?
In den USA ist die Kirche intern stark gespalten. Afrika hingegen zeigt eine geschlossene, konservative Haltung. Westeuropa ist reformorientierter, doch die progressiven Kräfte sind oft nicht so lautstark wie die Konservativen. Das hat dazu geführt, dass die Gegner von Franziskus ihn in entscheidenden Momenten ausbremsen konnten – etwa bei der Amazonas-Synode, als er verheirateten Priestern in entlegenen Regionen eine Perspektive eröffnen wollte. Die konservativen Kräfte, darunter auch Benedikt XVI., intervenierten, und am Ende musste Franziskus zurückweichen.
Wie stark beeinflusst dieser interne Machtkampf die Entscheidungen des Papstes? Ist Franziskus am Ende eher Getriebener oder Gestalter?
Er muss vor allem verhindern, dass es zu einer Spaltung der Kirche kommt. Die anglikanische Kirche hat sich durch ähnliche Konflikte tief gespalten – das will Franziskus vermeiden. Doch wo er einmal Reformen durchgesetzt hat, gibt es kein Zurück: Wiederverheiratete Geschiedene können die Kommunion empfangen, Frauen haben erstmals Stimmrecht bei Synoden. Diese Entwicklungen lassen sich nicht mehr rückgängig machen.
Papst Franziskus hat eine historische Entscheidung getroffen: Er ist der erste Papst seit 1.700 Jahren, der Frauen nicht nur die Teilnahme an einer Synode ermöglicht, sondern ihnen auch das Stimmrecht verleiht. Ein bedeutsamer Schritt, denn in diesem Jahr gedenkt die Kirche der ersten christlichen Synode von Nicäa im Jahr 325 – dem Beginn einer jahrhundertelangen Tradition, in der allein Bischöfe über kirchliche Belange entschieden. Erst 2023 und 2024 durchbrach der Papst dieses Muster und gewährte Frauen erstmals eine aktive Rolle: Sie dürfen nicht nur sprechen, sondern auch mitentscheiden. Ein wahrhaft revolutionärer Wandel für die katholische Kirche.