Medizinische Videos gewinnen in den sozialen Medien immer mehr an Bedeutung. Arzt und YouTuber Sebastian Alsleben spricht im Interview über die Vor- und Nachteile.
Wer gesundheitliche Beschwerden hat, recherchiert oft die Symptome erst einmal im Internet, noch bevor der erste Termin beim Hausarzt vereinbart ist. Doch während früher eher Gesundheitsforen und Wikipedia konsultiert wurden, informieren sich heute immer mehr Menschen mithilfe von kurzen Videos in den sozialen Medien über medizinische Themen. Allein in Deutschland wurden vergangenes Jahr 4,5 Milliarden Gesundheitsvideos bei YouTube aufgerufen – weltweit über 200 Milliarden.
Sebastian Alsleben, Hausarzt aus Solingen, sieht darin auch eine Chance. Im Interview mit t-online spricht der 31-Jährige über das veränderte Informationsbedürfnis seiner Patienten, wie digitale Aufklärung die knappe Sprechzeit ergänzen kann und wo die Grenzen der Online-Medizin liegen.
t-online: Herr Alsleben, haben Sie sich selbst schon mal dabei erwischt, Krankheitssymptome zu googeln?
Sebastian Alsleben: Klar, das macht doch jeder mal. Das Problem ist nur: Wer Symptome googelt, landet oft auf Webseiten mit reißerischen Schlagzeilen. „Oh mein Gott, das ist Krebs – in sechs Monaten bist du tot!“ So etwas verbreitet Angst und Panik, aber natürlich klicken die Leute darauf. Solche reißerischen Inhalte bekommen Reichweite – und genau das nutzen manche, um Geld zu verdienen.
Trotz der Gefahren, die für Patienten im Netz lauern, nutzen Sie ganz bewusst soziale Medien für medizinische Videos. Warum?
Die Vorteile sind riesig. Ich bin Hausarzt und sehe ein extrem breites Spektrum an Erkrankungen – von Depressionen über Bluthochdruck bis zu urologischen Fragen. In meiner Praxis habe ich im Durchschnitt sieben Minuten pro Patient. Wenn jemand sich vorab informiert hat, läuft das Gespräch viel effektiver. Auch im Anschluss an das Arztgespräch: Eine Diagnose wie Diabetes ist erst einmal ein Schock – viele bekommen in dem Moment gar nichts mehr mit. Da können gut gemachte Videos helfen, die wichtigsten Informationen noch einmal nachzuvollziehen.
Dr. Sebastian Alsleben ist Ernährungs- und Sportmediziner in Ausbildung. Er arbeitet als niedergelassener Hausarzt in Solingen (NRW) und gehört zu einer wachsenden Gruppe von Medizinern, die den Sprung in die digitale Welt gewagt haben. Mit kurzen und verständlich aufbereiteten Videos zu Volkskrankheiten, Präventionsthemen und aktuellen Gesundheitsfragen erreicht der 31-Jährige inzwischen ein Publikum, das weit über seine Praxistüren hinausgeht.
Wie sind Sie auf die Idee zu Ihren „Dr. Sebastian“-Gesundheitsvideos gekommen?
Angefangen hat alles mit Rückenübungen. Früher gab es in der Praxis veraltete Zettel, die niemand genutzt hat. Ich dachte: Warum nicht ein Video aufnehmen, das ich meinen Patienten mitgeben kann? Mittlerweile mache ich Videos zu Bluthochdruck, Diabetes und psychischen Erkrankungen. Das spart nicht nur Zeit, sondern verbessert die Kommunikation. Außerdem macht es mir einfach riesigen Spaß.
Die Gefahr, dass Patienten aufgrund der Informationsflut bei unseriösen Quellen landen und falsche Hobby-Diagnosen stellen, sehen Sie nicht?
Das Risiko besteht, klar. Besonders bei psychischen Erkrankungen sehen wir das oft. Social Media ist voll von Menschen, die angeblich Symptome haben. Aber die Vorteile überwiegen um das Hundertfache: Es ist besser, wenn jemand frühzeitig auf ein Problem aufmerksam wird, sich damit auseinandersetzt und dann zum Arzt geht. Denn im schlimmsten Fall wird aus einer leichten Depression eine schwere Depression und irgendwann kommt man da nicht mehr raus, weil man keine Hilfe in Anspruch genommen hat.
Werden nicht auch Ärzte beeinflusst, wenn sie von Anfang an in eine falsche Richtung gelenkt werden?
Ich glaube, dafür ist die evidenzbasierte Medizin zu gut strukturiert. Gerade bei psychischen Erkrankungen gibt es ganz klassische Fragebögen und Bewertungskriterien – außerdem habe ich ja noch das Gespräch mit dem Patienten. Trotzdem muss ich sagen, dass die Leute vor allem durch YouTube-Inhalte deutlich besser informiert in meine Praxis kommen. Dort werden ja bewusst Inhalte vorausgewählt und prominent angeboten, die zertifiziert sind – und das funktioniert meiner Erfahrung nach sehr, sehr gut. Ich arbeite auch gerade daran, meine Inhalte zertifizieren zu lassen. Es dauert aber eine Weile, bis man die Voraussetzungen erfüllt.