30 Jahre lang waren sie in der ARD sein täglich Brot: die Nachrichten. Doch genau ihretwegen zeigt sich Jo Brauner im Interview mit t-online tief besorgt.
Jo Brauner war im deutschen Nachrichtenfernsehen über Jahrzehnte eine feste Größe. Von 1974 bis 2004 präsentierte er für ein Millionenpublikum die „Tagesschau“. Auch 20 Jahre später ist der stets informierte, wache Geist Brauners nicht verflogen. Die Nachrichten zu verfolgen, das sei für ihn wie Zähneputzen: „Es gehört zu meiner täglichen Routine“, so der heute 87-Jährige.
Mit Nebensächlichkeiten will sich Jo Brauner nicht aufhalten. Zwar habe es ihn „überrascht“, dass in der „Tagesschau“ seit einiger Zeit auf die Anrede „Meine Damen und Herren“ verzichtet wird, aber er halte dies für „total unbedeutend, weil es der besten Nachrichtensendung Deutschlands in keiner Weise schadet“, wie er sagt. Brauner will lieber über die großen Themen sprechen: die politische Situation in Deutschland, das drohende Unheil eines Atomschlags und die Frage, wie die Welt unter Donald Trump aussehen wird.
t-online: Herr Brauner, bereitet Ihnen das aktuelle Weltgeschehen Unbehagen?
Jo Brauner: Ja, sehr sogar. In meinem hohen Alter von 87 Jahren habe ich den angeblich zu Ende gegangenen Kalten Krieg miterlebt. Der Kalte Krieg mag eingefroren gewesen sein, aber er ist heute viel stärker präsent als je zuvor.
Wie genau meinen Sie das?
Wir haben uns im Glauben daran, der Kalte Krieg sei vorbei, getäuscht. Ich bin kein Pessimist, aber ich sehe aufgrund der aktuellen politischen Lage ein Menetekel am Horizont.
Ein drohendes Unheil. Welches genau?
Einen Dritten Weltkrieg. Nicht nur wegen der verbalen Drohungen. Wladimir Putin lässt immer wieder den Einsatz von Nuklearwaffen als realistische Option anklingen. Das sind besorgniserregende Vorzeichen.
Putin vermittelt immer wieder die Botschaft, Nuklearwaffen für einen Vergeltungsschlag einzusetzen. Ob das reine Propaganda ist, da bin ich mir nicht so sicher.
jo brauner
Sie bewerten das nicht als Machtspiel, sondern als reales Szenario eines Atomkrieges?
Natürlich ist die atomare Bewaffnung ein Machtinstrument zur Abschreckung. Aber Putin vermittelt immer wieder die Botschaft, Nuklearwaffen für einen Vergeltungsschlag einzusetzen. Ob das reine Propaganda ist, da bin ich mir nicht so sicher. Was ist, wenn einer mal die Nerven verliert? Bei solch einer aufgeheizten Lage ist das dem russischen Despoten am ehesten zuzutrauen.
Bis ins Jahr 2004 hinein waren Sie beruflich in der „Tagesschau“ immer wieder mit schlechten Nachrichten konfrontiert. Müssten Sie nicht gerade deshalb Experte darin sein, einen kühlen Kopf zu bewahren?
Das mag mit meinem Alter zusammenhängen. Womöglich bin ich als Rentner einfach ängstlicher geworden. Aber ich sehe auch keine Entwicklung, die Hoffnung macht. Wo sind die Bemühungen, sich zusammenzusetzen und einen Modus Vivendi zu finden? Die Spannungen werden immer größer. Da scheint es doch nur eine Frage der Zeit, bis sich diese entladen – und dann droht uns ein Flächenbrand, den wir nicht mehr kontrollieren können.
Womit wir wieder bei der atomaren Eskalation wären …
Ich bin weder Verschwörungstheoretiker noch naiv. Ich sage nur, was ich wahrnehme, und ich habe erlebt, wie um den Nato-Doppelbeschluss gerungen wurde, wie das atomare Wettrüsten im Kalten Krieg eine verschärfte Lage schaffte. Aber Leonid Breschnjew und Helmut Schmidt betonten dennoch den Willen zur Abrüstung. Davon ist heute nichts zu erkennen: Putin ist isoliert – die Drohungen werden immer konkreter.
Olaf Scholz spricht sich gegen Waffenlieferungen aus, die es der Ukraine erlauben, weit ins russische Staatsgebiet zu feuern. Schätzen Sie diesen Politstil als Besonnenheit?
Man kann von Olaf Scholz halten, was man möchte – jeder Mensch hat seine Fehler. Aber außenpolitisch halte ich ihn für einen klugen Strategen. Er ist ein bedeutender Politiker eines bedeutenden Landes und sich seiner Verantwortung bewusst. Er ist weder Schaumschläger noch Duckmäuser, sondern jemand, der die Dinge durchdenkt und meiner Meinung nach die richtigen Schlüsse daraus zieht.
Seine hanseatische Art verhindert, dass dieser eigentlich ehrenhafte Politstil von der breiten Masse honoriert wird. Olaf Scholz trägt sein Herz nicht auf der Zunge – und das wird ihm oft als Schwäche ausgelegt. Aber in dieser hochgerüsteten Welt habe ich lieber solch einen Bundeskanzler als einen Hitzkopf, der die Lage mit Worten und Taten weiter anheizt.