Die Ex-Ampel und die Union sichern mit Verfassungsmehrheit die obersten Verfassungshüter des Landes gegen politische Putschversuche ab. Es geht nicht anders. Leider.

Mit wirklich großen, strategischen Entscheidungen ist es in der Politik gerne so, dass sie aus zwei Gründen unterhalb des Radars der großen Öffentlichkeit laufen. Erstens, weil sie nur dann umzusetzen sind. Und zweitens, weil sie so trocken sind wie ein Stück Toastbrot am Ende eines heißen Sommertages. Dabei geht es um grundstürzende Fragen unseres Gemeinwesens.

Dieses Stealth-Muster, also der Versuch, unter dem Radar hindurchzutauchen, war auch bei einer Verfassungsänderung zugunsten des Bundesverfassungsgerichts angewandt worden. Diskret und ohne großes Flügelschlagen hatten sich die Ampelparteien und die Union (Verfassungsänderungen bedürfen einer Zweidrittelmehrheit) eingangs der Sommerpause darauf verständigt, wie Richter für das oberste deutsche Gericht künftig ausgesucht und bestellt werden. Nun ist das im Bundestag mit dieser verfassungsändernden Mehrheit beschlossen worden.

Weil die Einigung so tarnkappenhaft herbeigeführt wurde, ausnahmsweise auch mal in einem Kommentar die kompletten Fakten: Die Einigung sieht unter anderem vor, dass die Zahl von 16 Richterinnen und Richtern und die einmalige Amtszeit von zwölf Jahren im Grundgesetz festgeschrieben werden. Sollte im Bundestag eine Richterwahl blockiert werden, greift eine sechsmonatige Frist, nach deren Ablauf die Personalie in den Bundesrat geht (mehr zu den Hintergründen lesen Sie hier).

Dagegen ist im Prinzip nichts einzuwenden. Aber ein Krisensymptom ist diese Regelung dennoch. Bislang war der Grundkonsens in unserem politischen Parteiengefüge und damit in unserem pluralistischen Gemeinwesen so groß und belastbar, dass es einer solchen Regelung nicht bedurfte. Nun sind die Parteien der breiten Mitte der Ansicht, dass das Bundesverfassungsgericht vor Übergriffen von den derzeitigen politischen Rändern geschützt werden muss.

Es wird nicht so ganz offen ausgesprochen, aber hinter diesem neuen Eintrag ins Grundbuch unserer Gemeinschaft steht die Sorge, dass die AfD oder eine ihr ähnliche Partei sich des Verfassungsgerichts bemächtigt, indem sie unliebsame gegen gefügige Richter austauscht.

Die Beobachtungen und Signale aus den USA, aber auch aus Polen und Ungarn treiben diese Sorge stark an. Warum soll hier nicht passieren, was dort schon geschehen ist? Lieber mal die Sandsäcke türmen um das wichtigste Gericht in Karlsruhe, bevor dort schlammige Wasser eindringen.

Deshalb ist diese Festschreibung sinnvoll und besorgniserregend zugleich. Denn es ist wie beim derzeit betriebenen besseren Hochwasserschutz: Es muss sein, aber der Anlass ist traurig.

Im ersten Fall ist es der Klimawandel, den niemand, der bei Trost ist, mehr leugnen kann. Im zweiten, dem aktuell vorliegenden Fall, ist es die Erkenntnis, dass in dieser Demokratie etwas erodiert und wegrutschen kann, was bislang als felsenfest galt. Ein kollektives Versammeln hinter dem, was man früher die freiheitlich-demokratische Grundordnung nannte, die übrigens so auch nirgends festgeschrieben war. Es ist gut, dass die demokratischen Parteien im Lande auch zu Wahlkampfzeiten die einigende Kraft aufbrachten für diesen Akt.

Weil die AfD in Deutschland auch weiterhin nicht durch Putsch, sondern nur durch Wahlen an die Macht kommen kann, ist diese Grundgesetzänderung zum Schutz und Wohle des Bundesverfassungsgerichts am Ende eben auch das: ein Misstrauensvotum gegen die selbsttragende Stabilität der Grundfesten dieser Demokratie und derer, die sie tragen.

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