Der Diskussionsbeitrag von Rundfunkrätin Khola Maryam Hübsch zur Islamisten-Demonstration in Hamburg hat Empörung hervorgerufen. Zu Recht? Lamya Kaddor, Bundestagsabgeordnete und Islamwissenschaftlerin, ordnet ein.

Der Auftritt von Khola Maryam Hübsch in der Talkshow „Hart aber fair“ am Montag entfacht Diskussionen: Hat die Rundfunkrätin Islamisten verharmlost? Grünen-Politikerin Lamya Kaddor ist selbst Islamwissenschaftlerin und findet: Der Auftritt war nicht gelungen – die Debatte ist es aber auch nicht.

t-online: Frau Kaddor, Khola Maryam Hübsch sitzt im hessischen Rundfunkrat und hat jetzt mit Aussagen über Scharia und Kalifate Aufregung ausgelöst. Wie finden Sie die Debatte?

Lamya Kaddor: Zum einen ist sie medial konstruiert, zum anderen befinden wir uns gerade in einer Phase, in der unsere Demokratie von vielen Seiten bedroht ist, in der sie vor eine Zerreißprobe gestellt wird. Das merken wir an den erhitzten Gemütern und grellen Tönen vieler, die sich an dieser konstruierten Debatte beteiligen. Ich fand den Auftritt von Frau Hübsch nicht gelungen. Sie hat in einer Fernsehdebatte über theologische Begriffe wie das Kalifat oder die Scharia gesprochen, als wären diese fest definiert und jedem klar. Dabei ist die Auslegung nicht einmal unter Muslimen einheitlich. Solche Themen gehören eigentlich in Fachdebatten.

Wie würden Sie, als Islamwissenschaftlerin, diese Begriffe beschreiben?

Es gibt viele verschiedene Verständnisse und Auslegungen der Scharia. Sie ist nicht statisch. Scharia ist einfach der arabische Begriff für die göttliche Norm, die in jeder Religion interpretiert werden muss. Diese Norm kann zum Beispiel progressiv oder dogmatisch-fundamentalistisch ausgelegt werden. Eine progressiv ausgelegte Scharia ist mit dem Grundgesetz vereinbar, denn sie verwirft Regelungen, die dem Grundgesetz widersprechen. Eine dogmatisch ausgelegte Scharia tut es nicht. Mit dem Kalifat ist es noch ausdifferenzierter. Umfragen unter deutschen Muslimen zeigen auch: 90 Prozent möchten in einer Demokratie leben – was sie ja auch tun.

Warum hat Frau Hübsch dann von einem Kalifat gesprochen?

Frau Hübsch ist Ahmadiyya-Muslimin. Das heißt, sie gehört zu einer muslimischen Gemeinde, die wirklich an ein Kalifat glaubt – allerdings an ein Kalifat, das mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar ist. Die Ahmadiyya-Gemeinden sind anerkannte Religionsgemeinschaften in Deutschland. Unter Muslimen gelten die Ahmadiyya-Gemeinden als konservativ. Sie sind nicht repräsentativ für alle Muslime in Deutschland. Aber wegen ihres Kalifats-Glaubens kann man Frau Hübsch oder der Ahmadiyya-Gemeinde nicht einfach Islamismus vorwerfen. Das lenkt auch von den wirklichen Problemen mit echten Islamisten ab, die wir in Deutschland haben.

Welche Probleme sehen Sie da?

Die Demonstrierenden in Hamburg, um die die Fernsehdiskussion eigentlich ging, das sind gefährliche Islamisten. Das sind übrigens auch die Menschen, die liberale Muslime wie mich und andere dauernd angehen und bekämpfen. Auf der Demonstration in Hamburg wurde ein Kalifat gefordert – zwar taktisch geschickt nicht in Deutschland, sondern in nicht näher definierten Ländern. Das sind aber Chiffren. Und wie soll so eine Einführung eines Kalifats aussehen? Die könnte ja angesichts gegenwärtiger Gegebenheiten nur in einem gewaltsamen Umsturz oder durch Unterdrückung Oppositioneller erfolgen. Insofern müssen die Rufe nach einem Kalifat auf dieser Demonstration auch als verdeckte Aufrufe zur Gewalt verstanden werden. Und das ist natürlich nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Das ist ein Problem und eine Gefahr für unsere Demokratie.

Wollen die Demonstrierenden wirklich ein Kalifat?

Bei den Kalifatsrufen geht es vor allem um Macht und Deutungshoheit. Wer das Kalifat hat, ist der Bestimmer. Siehe die vermeintlichen Kalifate der Terrorgruppen IS oder der Taliban. Und wenn die Demonstrierenden eigentlich ein Kalifat der Hamas in Palästina fordern wollen, sollten sie sich trauen, das zu benennen. Das ist aber nicht passiert. Stattdessen nutzen diese Menschen das rechtsstaatliche Mittel einer Demonstration, um anderswo einen antidemokratischen Staat zu fordern. Das schlägt dem Fass den Boden aus. Hier wünsche ich mir eine wehrhafte Demokratie, wie sie auch gegen Rechtsextremismus wehrhaft ist, und die das Problem des Islamismus offen benennt und konkret angeht. Daran arbeite ich im Bundestag permanent.

Finden Sie es angemessen, dass Khola Maryam Hübsch im Rundfunkrat sitzt?

Sie sitzt dort als Vertreterin einer in Deutschland anerkannten Religionsgemeinschaft. Ihr das jetzt vorzuwerfen, ist unsachlich. Ich fand den Auftritt von Frau Hübsch wie gesagt auch problematisch. Sie ist in einer Sendung über den politischen Islam aufgetreten, um dort über theologische Konzepte zu sprechen. Diese Verbindung versuchen Muslime heute eigentlich zu vermeiden, weil Religion und Politik inzwischen verschiedene Bereiche sind. Frau Hübsch hat nicht genug Zeit gehabt, um Scharia oder Kalifat als theologische Konzepte zu erklären. So wirkten ihre Ausführungen unnötig provozierend. Damit hat sie sich angreifbar gemacht. Wer sich jetzt aber mehr progressiv-liberale Muslime in Rundfunkräten wünscht, der sollte auch progressive muslimische Gemeinden unterstützen und fördern. Das wäre ein konstruktiver Schluss aus der Debatte.

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