Die USA liefern offenbar weitreichende Raketen an Kiew. Das könnte auch Olaf Scholz unter Druck setzen. Eine FDP-Politikerin fordert den Kanzler zum Handeln auf.

In der Ukraine könnte nun ein Szenario eingetreten sein, das viele Experten seit Wochen vorausgesagt haben: Bei dem Ort Otscheretyne, westlich von Awdijiwka in der Ostukraine, ist der russischen Armee am Dienstag womöglich ein entscheidender Durchbruch ukrainischer Linien gelungen. Die Truppen von Russlands Gewaltherrscher Wladimir Putin konnten bis zu vier Kilometer vordringen, berichten russische Militärblogger. Auf der Landkarte zieht sich demnach in der Oblast Donezk ein tiefer Keil in ukrainisches Gebiet, in dem die Besatzer ihre Stellung ausbauen könnten.

Sollte sich dieser jüngste russische Erfolg an der Front bewahrheiten, dürfte das die Debatte um die Lieferung von dringend benötigtem Militärgerät und von weitreichenden Waffen erneut befeuern. Insbesondere bei den europäischen Verbündeten der Ukraine, wo diese Diskussion zuletzt unter dem Eindruck der Blockade im US-Kongress etwas in den Hintergrund getreten war.

Nun bringen die USA jedoch neuen Schwung in die Debatte – indem sie der Ukraine offenbar eine weitreichende Variante der ballistischen Kurzstreckenrakete ATACMS (Army Tactical Missile System) liefern. Das berichtet der Sender CNN unter Berufung auf US-Regierungskreise. Demnach schicken die USA 1.000 der ballistischen Raketen mit einer Reichweite von bis zu 300 Kilometer.

Strack-Zimmermann: „Grund genug, jetzt auch zu handeln“

Dass die US-Regierung mit der Lieferung der weitreichenderen Variante der Rakete ein deutliches Zeichen setzt, könnte Signalwirkung haben. Insbesondere auch auf die Bundesregierung. Die sträubt sich nach wie vor, die weitreichenden Taurus-Marschflugkörper in die Ukraine zu entsenden.

„Der Kanzler hat immer versichert, dass er sich an den Vereinigten Staaten orientiert“, sagt die FDP-Verteidigungsexpertin Agnes Strack-Zimmermann t-online. Sie fordert Kanzler Olaf Scholz schon seit Langem dazu auf, den Taurus zu liefern. Doch Scholz weigert sich. Er wolle Deutschland nicht zur Kriegspartei machen, begründet der Sozialdemokrat seine Zurückhaltung. Zumal die deutsche Waffe noch weiter reicht als die amerikanische ATACMS. Bis zu 500 Kilometer kann der Taurus fliegen.

Strack-Zimmermann sieht durch das Vorpreschen der USA auch bei der Bundesregierung Handlungsbedarf. „Die USA werden jetzt weitreichende ATACMS-Raketen an die Ukraine liefern. Das ist Grund genug, jetzt auch in Sachen Taurus zu handeln“, sagt sie.

US-Regierung gibt Zurückhaltung auf

Wie bedeutend der Schritt der US-Regierung ist, ließ sich am Dienstagabend auch an der Reaktion des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ablesen. Der dankte US-Präsident Joe Biden ausdrücklich für die Militärhilfe und betonte dabei explizit die Bereitstellung der ATACMS. „In der Vereinbarung über die ATACMS haben wir alle Details geklärt“, so Selenskyj in seiner abendlichen Videoansprache. „Danke, Herr Präsident, danke dem Kongress und danke Amerika.“

Seit Monaten wartet Kiew verzweifelt auf Nachschub an Munition für seine Artillerie- und Flugabwehrgeschütze. Bis die eintrifft, wird es – trotz der inzwischen erfolgten Genehmigung des US-Kongresses für das milliardenschwere Hilfspaket – noch einige Zeit dauern. Im Idealfall Tage, im schlechtesten Fall dauert es noch Wochen oder sogar Monate.

Mit Offensive spätestens bis Juni wird gerechnet

Die Ukraine verfügte Berichten zufolge schon zuvor über ATACMS. Dabei handelte es sich allerdings um Raketen der ersten Modellreihe M39 mit kürzerer Reichweite (bis 165 Kilometer).

Nun gibt die US-Regierung die Zurückhaltung bei diesem Waffensystem auf – so habe die Biden-Regierung den Kongress darüber informiert, dass die weitreichenden ATACMS ganz offiziell Bestandteil des neuen Militärhilfepaktes sind, inklusive Raketen der Baureihen M39A1, M48 und M57 mit bis zu 300 Kilometer Reichweite. Bislang hatten nur Großbritannien und Frankreich ähnliche Systeme (Storm Shadow und Scalp) geliefert, allerdings in begrenzter Stückzahl.

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