Halloween ist ein Fest für Jung und Alt. In manchen Städten schlagen jedoch Jugendliche über die Stränge. Warum das so ist, erklärt Experte Klaus Hurrelmann.

Hunderte Jugendliche warfen im vergangenen Jahr an Halloween Böller auf Polizisten, zündeten Mülltonnen an und griffen Passanten an. Seit mehreren Jahren kommt es an diesem Tag immer wieder zu Ausschreitungen. Warum das so ist, erklärt Klaus Hurrelmann, der frühere Direktor des Bielefelder Forschungszentrums „Prävention und Intervention im Kindes- und Jugendalter“, im Gespräch mit t-online.

t-online: Herr Hurrelmann, Halloween und Ausschreitungen – wie passt das zusammen?

Klaus Hurrelmann: An diesem Tag wird der Alltag ausgehebelt – da benehmen sich viele anders, als sie es an „normalen“ Tagen tun. Genauso wie beim Oktoberfest, an Silvester oder eben Halloween. An solchen Tagen herrscht eine gewisse Ausnahmesituation, die den Rahmen für solche Krawalle bietet. Die üblichen gesellschaftlichen Regeln gelten dann nicht.

Das betrifft aber nur eine Minderheit und vor allem Jugendliche.

Das stimmt, die meisten feiern vollkommen friedlich. Die Randalierer sind in der überwiegenden Mehrheit männliche Jugendliche, 17 Jahre alt oder noch jünger. Bei ihnen spielt es eine große Rolle, in welcher Clique sie unterwegs sind und ob die Stimmung entsprechend aufgeheizt ist.

Ein Wasserwerfer wird im Stadtteil Harburg eingesetzt (Archivbild): In der Halloween-Nacht 2023 war es in Hamburg zu Ausschreitungen gekommen. (Quelle: Daniel Bockwoldt/dpa)

Wie kommt es dann zu dieser Gewalt?

Seit jeher ist Gewalt eine Handlung, mit der Jugendliche austesten, welche Regeln denn nun gelten und welche nicht. Dabei suchen sie gezielt nach etwas, das besonders provoziert und für Aufmerksamkeit sorgt. Wie eben das Zünden von Feuerwerk oder Auseinandersetzungen mit der Polizei. Regeln brechen ist für die Jugendlichen an der Stelle zunächst einmal ein Spaß. Das gilt auch für Gewalt im Kleinen. Spannend ist für sie vor allem, wie reagiert das Umfeld darauf, und traut sich jemand einzugreifen.

Welche Gruppen von Jugendlichen sind dafür besonders anfällig?

Das ist primär für junge Männer interessant, die sonst wenig Chance haben, auf sich aufmerksam zu machen. Da darf man sich nicht wundern, wenn unter den Randalierern viele sind, die in der Schule abgehängt wurden, aus armen Familien kommen oder eine Zuwanderungsgeschichte haben – für sie ist Gewalt ein probates Mittel, um mal im Zentrum des Geschehens zu stehen.

Weil bei ihnen immer auch eine gute Portion Frust und Ohnmacht mitspielt. Kurzum: Für Jugendliche, die auf keine riesigen Erfolgschancen in ihrer Zukunft blicken, sind solche Aktionen besonders attraktiv.

Haben solche Gewaltausbrüche in den vergangenen Jahren zugenommen?

Danach sieht es nicht aus. Das Internet saugt bereits eine Menge der typisch jugendlichen Energie auf. Sie können heute durch Videos auf Social Media relativ unerkannt und öffentlichkeitswirksam die üblichen Regeln sprengen und auch in Computerspielen ein gewisses Maß an Gewalt ausleben. Dafür braucht es nicht mehr unbedingt Ausschreitungen im öffentlichen Raum. Umso empfindlicher reagiert der öffentliche Raum allerdings darauf, wenn es diese dann gibt.

Dadurch, dass jugendliche Provokationen insgesamt seltener geworden sind, sind die meisten Menschen damit überfordert, wenn es sie doch für alle spürbar gibt. Dadurch werden gewalttätige Provokationen im öffentlichen Raum viel stärker gesellschaftlich aufgebauscht und die Situationen schaukeln sich schneller hoch. Passanten wissen nicht mehr, wie man darauf reagiert.

Wie sollten sie denn darauf reagieren?

Sie sollten sich auf keinen Fall provozieren lassen, sondern versuchen, defensiv ihre Missbilligung zu zeigen. Und dann schnellstens Hilfe von Polizei und Rettungsdiensten organisieren.

Ist denn die Polizei auf solche Ereignisse gut genug vorbereitet?

Nein. Auch die Profis bei der Polizei wissen oft nicht, wie man angemessen darauf reagiert, weil es eben auch für sie absolute Ausnahmesituationen sind. Das gilt insbesondere für Halloween.

Es ist ein relativ losgelöstes und neueres Phänomen, deshalb gibt es dabei keinerlei Ablaufplan oder Erfahrungswerte. Anders als das beispielsweise lange Zeit am 1. Mai in Berlin der Fall war. Für die Jugendlichen macht es das natürlich noch spannender – für die Einsatzkräfte wird die Nacht dadurch umso schwieriger.

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