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Die schwarz-roten Sondierungen waren erfolgreich. Doch nicht alles, auf das sich die Koalitionäre in spe geeinigt haben, wirkt damit fertig und zu Ende gedacht.

Nein, es ist nicht alles schlecht, was CDU, CSU und SPD in ihrem Papier zum Abschluss der Sondierungsgespräche aufgeschrieben haben, manches ist sogar richtig gut. Der Umbau des Bürgergeldsystems zu einer Grundsicherung zum Beispiel, die wie einst „Hartz IV“ wieder stärker das Fordernde statt des Fördernden in den Fokus nimmt, schärfere Sanktionen inklusive.

Oder auch, dass künftig eine wöchentliche statt einer täglichen Höchstarbeitszeit gelten soll, was zu mehr Flexibilität in der Arbeitswelt führt. Ebenfalls sinnvoll: steuerfreie Überstunden und das Bekenntnis zur Kernkraft, genauer zur Kernfusion als Energieträger der Zukunft, der für günstigen und sauberen Strom sorgen soll. Und klar, beim wohl größten und wichtigsten Vorhaben, der Aufrüstung im Angesicht der Bedrohung durch Russland, wird glücklicherweise nicht gekleckert, sondern so richtig geklotzt, wie mein Kollege Florian Harms hier bereits lobend kommentierte.

Von Letzterem aber einmal abgesehen wirken die zuvor genannten Punkte, die das Sondierungspapier aufführt, eher wie Trippelschritte denn wie große Reformen. Sie können kaum darüber hinwegtäuschen, dass sich Schwarz-Rot bei allem, was das Land neben der Aufrüstung wirklich bewegt, den wirklich großen Wurf kaum zuzutrauen scheint. Beziehungsweise: CDU, CSU und SPD haben sich, allem Lob für die „gute Atmosphäre“ zum Trotz, mutmaßlich eben doch so sehr blockiert, dass am Ende nur Wischiwaschi-Sätze herauskamen – oder der beliebte Ausweg gewählt wurde, Probleme einfach mit immer mehr Staatsgeld (also Schulden) zu lösen.

Auffälligstes Beispiel für die teils schwammigen Sätze ist der Abschnitt Migrationspolitik. Zwar sagte CDU-Chef Friedrich Merz beim gemeinsamen Statement am Samstagnachmittag noch, auch Asylbewerber würden an den Grenzen zurückgewiesen, so wie er es im Wahlkampf versprach. Doch wer genau liest, findet im Sondierungspapier sechs Worte, die exakt das potenziell unmöglich machen.

Wörtlich heißt es dort: Zurückweisungen würden „in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn“ erfolgen – die sich dabei allzu schnell kaum kulant zeigen und Flüchtlinge zurücknehmen dürften. Auch die Art von Dominoeffekt, bei dem sich die Zurückweisung von Land zu Land immer weiter gen EU-Außengrenze verschiebt, ist keinesfalls sicher. Die „Migrationswende“ kann an diesem Punkt so schnell in sich zusammenfallen.

Andere Formulierungen klingen derweil zwar gut, gelten in der Migrationspolitik aber kaum als Gamechanger: das „befristete“ Aussetzen des Familiennachzugs für Schutzbedürftige etwa, oder auch das Ende freiwilliger Aufnahmeprogramme, das eher einen symbolischen Wert hat.

Entscheidend ist, wie immer, was hinten rauskommt. Konkret: Ob diese Politik die Migration tatsächlich begrenzt und damit auch den Rechtspopulisten den Wind aus den Segeln nimmt oder nicht. Den größten Effekt, so viel scheint jetzt schon klar, dürfte am Ende wohl das Inkrafttreten des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) haben – das fast ironischerweise unter der Ampelkoalition ausgehandelt wurde.

Ähnlich ambivalent verhält es sich mit einer ganzen Reihe anderer Punkte, die das Sondierungspapier enthält. Zwar atmen die elf Seiten durchaus den Geist einer Wirtschaftspolitik, die für das dringend benötigte Wirtschaftswachstum sorgen soll. Friedrich Merz, dem Bald-Kanzler, mag man seinen unbedingten Willen und Wunsch nach einem deutlichen Plus beim Bruttoinlandsprodukt abnehmen.

Der Weg dahin jedoch wirkt – auch ohne Infrastruktur-Milliarden – bisweilen abenteuerlich. Anreize für längeres Arbeiten im Alter sind zwar richtig, die geplante „Aktivrente“, bei der Rentner bis zu 2.000 Euro steuerfrei hinzuverdienen dürfen, kann dem Arbeits- und Fachkräftemangel entgegenwirken. Aber warum bauen CDU/CSU und SPD dann zugleich die teure Mütterrente aus, die Nicht-Arbeit von Frauen belohnt? Wieso setzen die Parteien weiter auf die abschlagsfreie „Rente mit 63“, warum trauen sie sich nicht endlich an eine Erhöhung des Renteneintrittalters heran, wie es fast einhellig sämtliche Ökonomen fordern?

Koalition heißt Kompromiss. Und der Kompromiss darf keinesfalls reflexartig als „faul“ verschrien werden, er gehört zum Wesen der Demokratie. Mit Blick auf das Sondierungsfinale der künftigen Regierung aber darf zumindest angemerkt werden: Gänzlich schlüssig ist all das noch nicht. In den Koalitionsverhandlungen wartet noch ein großes Stück Arbeit.

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