Entsetzen nach Messerattacke
Ermittler werden in Wohnung des mutmaßlichen Täters fündig
Aktualisiert am 23.01.2025 – 07:43 UhrLesedauer: 5 Min.
Ein 28-jähriger Afghane sticht am helllichten Tag auf kleine Kinder ein. Nach dem Messerangriff von Aschaffenburg suchen die Ermittler nach dem Motiv.
Es ist ein frostiger Mittwoch, die Sonne scheint. Doch um die Mittagszeit wird das fränkische Aschaffenburg jäh aus seinem Alltag gerissen. Mitten in einem beliebten Innenstadtpark attackiert ein womöglich psychisch labiler Mann nach ersten Polizeierkenntnissen mehrere Kinder mit einem Messer. Bei dem mutmaßlichen Täter soll es sich nach „Spiegel“-Informationen um den 28-jährigen Afghanen Enamullah O. handeln.
Ein zweijähriger Junge marokkanischer Abstammung stirbt und auch einem 41 Jahre alten Deutschen, der die Kinder wohl schützen will, können die Rettungskräfte nicht mehr helfen. Ein zweijähriges Mädchen aus Syrien und ein 72-jähriger Deutscher werden schwer verletzt in ein Krankenhaus gebracht, wie das Polizeipräsidium Unterfranken und die Staatsanwaltschaft Aschaffenburg mitteilen. Eine 59-jährige Erzieherin verletzt sich bei ihrer Flucht.
Der Tatablauf ist auch Stunden nach der Attacke nicht gesichert. Ob der Festgenommene sich schon zu der Tat geäußert hat, ist am Mittwochabend noch ungewiss. Er wird wahrscheinlich am Donnerstag einem Haftrichter vorgeführt.
Nach Worten von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) gibt es bisher keine Hinweise auf ein islamistisches Motiv. „Im Moment geht die Mutmaßung sehr stark in Richtung seiner offensichtlich psychischen Erkrankungen“, sagt der CSU-Politiker am Abend in Aschaffenburg. In der Unterkunft des Afghanen seien entsprechende Medikamente gefunden worden. Als Extremist ist der Tatverdächtige nach Informationen aus Sicherheitskreisen nicht bekannt. Auch Polizei und Staatsanwaltschaft teilen mit, dass es bislang keine Hinweise auf eine radikale Gesinnung Enamullah O.s gebe.
O. war laut Herrmann ausreisepflichtig. „Es gab dann wohl ein sogenanntes Dublin-Verfahren, das aber nicht zeitgerecht abgeschlossen werden konnte.“ Das Dublin-Verfahren ist ein Bestandteil des gemeinsamen europäischen Asylsystems. Eine der Regelungen besagt, dass in vielen Fällen der Staat für die Abwicklung des Asylverfahrens zuständig ist, in dem der Geflüchtete zuerst EU-Boden betreten hat.
Zwar hatte der Tatverdächtige nach seiner Einreise im November 2022 einen Asylantrag gestellt. Doch sein Verfahren sei abgeschlossen worden, nachdem er selbst Anfang Dezember 2024 gegenüber den Behörden schriftlich angekündigt habe, ausreisen zu wollen. Laut Herrmann gab er dabei an, beim afghanischen Generalkonsulat die nötigen Papiere besorgen zu wollen. Daraufhin sei er vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) zur Ausreise aufgefordert worden.
Ausgereist sei er aber nicht. Offenbar war der 28-Jährige in der Vergangenheit schon dreimal wegen Gewalttaten aufgefallen. Deshalb sei er jeweils zur psychiatrischen Behandlung in Einrichtungen eingewiesen worden, dann aber wieder entlassen worden, so der bayerische Innenminister.
Bundeskanzler Olaf Scholz dringt auf Aufklärung durch die Behörden. So solle der Frage nachgegangen werden, warum der Verdächtige immer noch in Deutschland war. „Ich bin es leid, wenn sich alle paar Wochen solche Gewalttaten bei uns zutragen“, lässt der SPD-Politiker mitteilen. „Von Tätern, die eigentlich zu uns gekommen sind, um hier Schutz zu finden. Da ist falsch verstandene Toleranz völlig unangebracht.“
Scholz drückt Opfern und Angehörigen sein Mitgefühl aus und spricht von einer „unfassbaren Terror-Tat“. „Aus den gewonnenen Erkenntnissen müssen sofort Konsequenzen folgen, es reicht nicht zu reden.“
Noch am Mittwochabend hat Scholz ein Gespräch mit den Chefs des Verfassungsschutzes, des Bundeskriminalamts und der Bundespolizei im Kanzleramt anberaumt. An dem Gespräch nimmt nach Angaben aus Regierungskreisen auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) teil.
Kritik an der Regierung kommt unterdessen aus Teilen der Bundespolitik. BSW-Chefin Sahra Wagenknecht nimmt den tödlichen Messerangriff zum Anlass, erneut einen Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik zu fordern. „Dass nach Mannheim und Solingen nichts passiert ist, ist in erster Linie das Versagen des Kanzlers und seiner Innenministerin“, sagt Wagenknecht dem Magazin „Politico“. „Das macht sie politisch mitverantwortlich für jede weitere schreckliche Tat.“