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„Menschlich verständlich“ – aber nicht gesetzeskonform: t-online liegt der Erlass des NRW-Innenministeriums vor, welcher der Polizei einen anderen Umgang mit Pro-Israel-Demonstranten vorgibt.

Es ist ein Fall, der Aufsehen erregte, und das weit über Nordrhein-Westfalen hinaus: Weil auf einer Pro-Palästina-Kundgebung in Essen Tumulte durch die Demonstranten drohten, nahm die Polizei einen Mann auf die Wache mit, der am Rande der Demo eine Israelfahne gezeigt hatte. Jetzt stellt ein Erlass an die Polizeidienststellen in Nordrhein-Westfalen fest: Das war falsch, so geht es nicht.

t-online liegt dazu die interne Anweisung des Innenministeriums Nordrhein-Westfalen vor. „Die Polizei hat darüber zu wachen, dass das Recht niemals dem Unrecht weichen muss“, stellt das Ministerium in seinem Schreiben klar.

Der Vorfall, der Auslöser für den Erlass war, ereignete sich im Juli 2024 in Essen. Vorangegangen waren deutschlandweit Demonstrationen pro-palästinensischer Gruppen. Die Emotionen schlugen hoch, seit palästinensische Terroristen am 7. Oktober 2023 bei einem Überfall auf Israel etwa 1.200 Menschen ermordet und damit den Gaza-Krieg mit Zehntausenden Toten auf palästinensischer Seite ausgelöst hatten. In der Ruhrgebietsstadt beteiligten sich an eindeutig antisemitischen Kundgebungen mehrfach islamistische Gruppen.

Bei der Pro-Palästina-Demo tauchte auch der Israel-Unterstützer Chris S. auf. Vor Beginn der Demo am 12. Juli 2024 jedoch erteilte die Polizei S. einen Platzverweis und nahm ihn anschließend mit auf die Wache. Die Begründung: Er hatte eine Israelfahne zeigen wollen.

Damit habe er „massives Konfliktpotenzial geschürt“, erklärte die Polizei damals. Zur „Gefahrenabwehr“ war ein Platzverweis ausgesprochen worden; dass die Polizei ihn gegen seinen Willen mitnahm, sei „angesichts der drohenden Eskalation geboten und verhältnismäßig“ gewesen. Chris S. ging an die Öffentlichkeit, der Umgang mit ihm löste Wirbel und Kritik aus.

In der Folge verschickte das Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste Nordrhein-Westfalen an alle Kreispolizeibehörden in dem Land den Erlass, dass die Polizei in solchen Fällen anders vorgehen muss. Durch eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz liegt t-online das Dokument vor, dass das Innenministerium zunächst nicht herausgeben wollte.

Vorangegangen ist demnach ein Schreiben der Leitung des Referats „Recht der Polizei“ im Innenministerium von Herbert Reul (CDU) an das Landesamt. Gelobt wurde darin das Essener Polizeipräsidium zunächst für „ganz ausgezeichnete Einsatzbewältigung“ beim AfD-Bundesparteitag in Essen. Der fand Ende Juni 2024 einige Tage vor der Pro-Palästina-Demo statt. Zu dem Einsatz heißt es dann: „Fehleinschätzungen“, die in der außergewöhnlichen Hektik und Schnelligkeit des Polizeialltags selbstverständlich vorkommen können, müssten intern aufgegriffen und korrigiert werden.

In dem Fall gehe es um das Grundfundament des freiheitlichen Rechtsstaats, wonach Recht niemals dem Unrecht weichen müsse. Auf den konkreten Fall bezogen bedeutet das: Der einzelne friedliche Gegendemonstrant mit Israel-Fahne war nicht der „Störer“, wie es im Versammlungs- und Polizeirecht heißt. Störer waren die hitzigen Pro-Palästina-Demonstranten, die auf ihn loszugehen drohten. Die Polizei muss – im Zweifelsfall mit verstärkten Kräften – denjenigen schützen, der nur vom Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch macht, und muss gegen die vorgehen, die damit ein Problem haben. In der Bewertung hält das Ministerium fest, das Vorgehen sei unverhältnismäßig gewesen.

Aus dem Innenministerium heißt es: Es sei „menschlich verständlich, dass mitunter der Impuls gegeben sein kann, den Nichtstörer polizeipflichtig zu machen, wenn die gesetzlichen Vorgaben nach der objektiven Rechtslage nicht gegeben sind“. Es sei aber Aufgabe der Polizeiführung, die korrekte rechtliche Vorgehensweise zu gewährleisten.

Die zuständige Person im Ministerium schreibt, sie möchte, „dass alle Behörden unmittelbar nochmals für die Problematik Störer Nichtstörer bei Versammlungen sensibilisiert werden und die Polizei NRW hier stets und ausnahmslos eine einheitliche, gesetzeskorrekte Vorgehensweise zeigt“. „Gerade, wenn es um jüdische Mitbürger in Deutschland und um den Staat Israel und seine Fahne als Heimstatt jüdischer Menschen gehe“ sollten das Polizeibehörden wissen. Das Landesamt setzte das um.

Der Essener Fall ist auch nicht der einzige aus den vergangenen Monaten. Der Marburger Rechtsanwalt Jannik Rienhoff wurde wegen mehrerer Platzverweise gegen Israel-Sympathisanten beauftragt, die ihre Solidarität nicht in Sichtweite von pro-palästinensischen Demos zeigen durften. Als die Polizei Düsseldorf nachträglich in einem solchen Fall Fehlverhalten gegenüber einem Mandanten von Rienhoff einräumte, wurde durch t-online-Recherchen der neue landesweite Erlass bekannt.

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