Dass er Bundespräsident wurde, hat ihn selbst verblüfft. Horst Köhler war kein Politiker, schätzte rote Teppiche wenig und sicherte seine Worte nicht doppelt ab. Kurz vor seinem 82. Geburtstag ist er gestorben.
Horst Köhler wohnte bei uns um die Ecke, ging mit seiner Frau spazieren, unterhielt sich mit dem Besitzer des indischen Restaurants über Philosophie und besuchte privat organisierte Konzerte. Er trat nicht auf, er kam vorbei. Er verzichtete auf Leibwächter, ein bescheidener Mann mit großer Neugierde für das, was andere Menschen machten und dachten.
Dass er im Februar 2004 Bundespräsident werden sollte, hat ihn selbst am meisten überrascht. Am Morgen seines Abflugs nach Berlin habe ich ihn in seinem riesigen Büro im Internationalen Währungsfonds abgeholt, in dem er ein bisschen verloren wirkte. Die Aktentasche am Arm verabschiedete er sich von der Garde an Sekretärinnen und sagte: „Good people.“ Das klang komisch, aber er meinte es so. Sie waren nicht nur professionell untadelig, sondern auch menschlich loyal. Beides war ihm wichtig.
- Im Alter von 81 Jahren: Horst Köhler ist gestorben
Als Präsident fiel er aus dem Rahmen. Präsidenten leben von ihren Reden, die andere für sie schreiben, und wenn es gut geht, bleiben Sätze im kollektiven Gedächtnis haften. Richard von Weizsäcker bleibt der Inbegriff des Staats-Rhetorikers. Seine Bemerkungen über die Dualität von Katastrophe und Befreiung am 8. Mai 1945, als Hitler-Deutschland bedingungslos kapitulierte, gehören ins Poesiealbum der liberalen Demokratie.
Video | Früherer Bundespräsident Horst Köhler gestorben
Horst Köhler erinnerte die Politik daran, auf die Menschen zu hören und zu achten. Was ihnen wichtig sei und was sie bedrücke, müssten Regierungen berücksichtigen und bedenken. Damals ärgerte sich Angela Merkel, die ihn zum Präsidenten gemacht hatte, über solche Mahnungen, wie man sich denken kann. Heute versucht Friedrich Merz verzweifelt, das Versäumte nachzuholen.
Im Gedächtnis bleibt auch ein Besuch im Gefängnis bei einem der prominenten RAF-Terroristen. Christian Klar hatte im Jahr 2007 Begnadigung beantragt, wofür der Bundespräsident zuständig war. Köhler sprach mit Opfern der RAF, mit Juristen, studierte die Akten über die Morde, an denen Klar beteiligt war. Unter wüster Kritik der CSU besuchte er Klar im Gefängnis, der weder Reue noch Einsicht zeigte und deshalb auch nicht begnadigt wurde.
Horst Köhler konnte sperrig sein, ließ sich nicht reinreden und hatte seinen eigenen Kompass. Fragte man ihn nach den Gründen für den Eigensinn, der manchmal an Starrheit grenzte, erzählte er seine komplizierte Familiengeschichte.
- Einer von Köhlers letzten Auftritten: Vor einem Jahr präsentierte er sich noch stolz mit seiner Familie
Er war der Sohn einer Bauernfamilie aus Bessarabien, angesiedelt ursprünglich im heutigen Moldau. Gegen Kriegsende flohen die Eltern mit den Kindern zuerst in die Nähe von Leipzig und dann 1953 in den Westen. Ein verständiger Angestellter des Lagers, in dem die Köhlers bis 1957 lebten, sorgte dafür, dass der Junge aufs Gymnasium kam, ein Schritt, der den Köhlers eigentlich fremd war. Das sei ein schwerer Anfang mit einem erstaunlichen Ende gewesen, sagte Köhler im Rückblick.
Horst Köhler war kein Politiker. Er hatte keinen Sinn für Auftritte, wirkte dabei eher gehemmt. Aber er war ein stolzer Mann mit enormer Sachkenntnis, der sich nichts vormachen ließ.
In seiner besten Zeit war er Staatssekretär im Wirtschaftsministerium zur Zeit der Wiedervereinigung. Auf seine Anregung hin erfolgte der Bau von Zehntausenden Wohnungen für die heimkehrende Rote Armee in Russland. Dabei spielte sich eine kleine Episode ab, die Köhler privat erzählte: Als er das Vorhaben in Moskau auf einer Konferenz skizzierte, fragte ihn ein General: „Meinen Sie das ernst?“ – „Ja, ernst“, antwortete Köhler. Der General schaute ihn lange an und sagte: „Ich glaube Ihnen.“