Da kann es passieren, dass sich hinter einer – vordergründig politischen – „Bunten Pionierveranstaltung“ einfach ein eher unpolitischer Kinobesuch verbirgt. Und man für 25 Pfennige Eintrittsgeld bei „Der Geschichte vom kleinen Muck“ mitfiebert, dem mit knapp 13 Millionen Zuschauern erfolgreichsten DDR-Kinofilm.
Dass es auch die andere Seite, den Drill, die Uniformität, den Anpassungsdruck gibt, weiß jeder, der seine Kindheit im Osten verbringt. Wilfried Poßner, der von 1985 bis 1989 Vorsitzender der Pionierorganisation ist, sagt rückblickend und durchaus kritisch, dass die „Organisation im Laufe der Zeit immer enger in die Strukturen der SED eingebunden wurde, bis hin zu bestimmten Ritualen und Zeremonien, und im Grunde genommen, die Partei der Kleinen sein sollte.“
Zu diesen Regeln zählen vor allem Begrüßungsrituale („Für Frieden und Sozialismus. Seid bereit!“ – „Immer bereit!“) und Fahnenappelle. Hier marschieren die Schüler im Klassenverband auf dem Schulhof im Gleichschritt und schmettern sinnentleerte Kampflieder, wie dieses:
Pioniere, voran lasst uns vorwärts gehn! Pioniere, stimmt an, lasst die Fahnen wehn!
Unsre Straße, sie führt in das Morgenlicht hinein. Wir sind stolz, Pioniere zu sein!
Doch nicht alle DDR-Kinder, die etwa zwischen 1961 und 1975 geboren sind, haben Bock auf diese Rotlichtbestrahlung. Sie wachsen zwar behütet im Sozialismus auf, doch nehmen sie die Widersprüche und Probleme des Systems viel früher wahr als Generationen vor ihnen.
Mitunter zeigt sich diese Opposition im Kleinen, in Details, in Nuancen – die Kinder machen sich anfangs ein wenig lustig über ihre Heimat DDR und texten so manches Kampflied einfach um (wenn auch hinter vorgehaltener Hand):
Unsre Straße, sie führt in den Suppentopf hinein. Wir sind stolz, Wiener Würstchen zu sein!
Der Soziologe Bernd Lindner spricht hier von der sogenannten „distanzierten Generation“. Jene jungen Menschen verbringen ihre Kindheit in den 1970er- und 1980er-Jahren, werden aber immer weniger in ihrem Alltag erreicht. Die Loyalität gegenüber ihrem Geburtsland schwindet allmählich.
Der Medienwissenschaftler Dieter Wiedemann schreibt, dass die Mehrheit der DDR-Bevölkerung damals zudem aus ihrem System emigriert – und zwar allabendlich medial. In einer seinerzeit unveröffentlichten Studie des Zentralinstituts für Jugendforschung (ZIJ) aus dem Jahr 1985 werden etwa 1.300 Leipziger Schüler und Schülerinnen (also 9- bis 10-Jährige) nach ihren Lieblingssendungen im Fernsehen befragt. Das Ergebnis überrascht nicht.
21 Prozent der Nennungen betreffen Unterhaltungssendungen wie „Die verflixte 7“ (ARD), „Wetten, dass …“ (ZDF) und „Donnerlippchen“ (ARD). 22 Prozent entfallen auf Kindersendungen wie „Spaß am Dienstag“ (ARD), „Na sowas!“ (ZDF), „Alles Trick“ (DDR I). Und 28 Prozent auf Serien wie „Simon & Simon“ (ARD), „Neumanns Geschichten“ (DDR I) und „Tom und Jerry“ (ZDF).