Viele verbinden mit ihm unterhaltsame bis alberne Stoffe. Doch im Interview zeigt sich: Unter Fahri Yardims humorvoller Oberfläche schlummert viel mehr.
Wer an die Serie „jerks.“ und Fahri Yardim denkt, käme kaum auf die Idee, dass sich der 44-jährige Hauptdarsteller auf tiefsinnige Art und Weise den Kopf über neoliberale Politik, Moral und Existenzängste zerbricht. Doch auch das ist Fahri Yardim. In dem neuen Netflix-Drama „Delicious“ besticht er als ernst zu nehmender Schauspieler. Yardim verkörpert darin einen Familienvater am Abgrund: Seine Ehe wirkt brüchig, in seinem Job ist er gescheitert und die Kinder nehmen ihn nicht mehr ernst.
Dabei ist der Film viel mehr als nur eine Familientragödie. Wie ein Damoklesschwert schweben über allem die soziale Ungerechtigkeit und die gesellschaftlichen Spannungen, die aus ihr resultieren. Im Interview spricht Fahri Yardim offen über diese Themen – und was sie für ihn und sein Leben bedeuten.
t-online: Herr Yardim, in Ihrem neuen Netflix-Film „Delicious“ spielt soziale Ungleichheit eine zentrale Rolle. Die erste Szene zeigt Ihre Filmfamilie in einer luxuriösen Limousine – abgeschirmt von den Straßenkämpfen in Marseille. Was sagt diese Szene für Sie aus?
Fahri Yardim: Sie ist wunderbar grotesk inszeniert. Da sitzt diese wohlhabende Familie in ihrem goldenen Käfig, während draußen die Wut explodiert. Und ihre größte Sorge ist, dass der Fahrer nicht die gewünschte Route nimmt. Die Welt brennt – aber es betrifft sie nicht. Ein starkes Bild für die Parallelwelt, in der sich das Privileg entfremdet.
Sie selbst sind aus einfachen Verhältnissen aufgestiegen. Wie hat das Ihr Bewusstsein für solche Ungleichheiten geprägt?
Der ökonomische Mangel aus der Kindheit strebt nach Übermaß. Unbewusst hat mich angetrieben: bloß raus aus diesen Verhältnissen. Aber die Existenzangst ist geblieben. Sie steckt tief in mir. Und mit ihr ein starkes Gerechtigkeitsempfinden. Ich bin politisch sozialisiert, auch wenn ich die öffentliche Positionierung noch scheue. Zudem widerstrebt mir die Rolle des „prominenten Moralapostels“.
Ich habe keine vollständige Antwort darauf. Die gefahrlose Empörung hat etwas von Gratismut. Gleichzeitig braucht diese Zeit jede Stimme.
Ich kann nicht so tun, als sei der Überfluss selbstverständlich. Und ehrlich gesagt: Auch Wohlstand lässt Menschen verkümmern.
fahri yardim
Fehlt es in der Kunst an politischem Engagement?
Kunst kann und sollte politisch sein. Reine Unterhaltung oder Eskapismus verkümmern zu Betäubungsmitteln. Mich interessieren vor allem die Mechanismen, wie verständlicher Frust dahin instrumentalisiert wird, um von wirklichen Ursachen abzulenken. Dass sich im Postkapitalistischen das Wohlstandsversprechen nicht einlöst, erzeugt Frust. Warum springen wir aber über jedes Stöckchen, das uns Autoritäre und Neoliberale hinhalten und zerfetzen uns in Scheindebatten?
Die Perversion neoliberaler Politik ist ja, dass sie ihre Privilegien sichert, indem sie von sich ablenkt. Diese Manöver beherrscht sie vorzüglich. Dass wir uns mit emotional aufgeladenen Debatten – über Migration oder Bürgergeld – von den eigentlichen Machtverhältnissen ablenken lassen, irritiert mich jedes Mal aufs Neue.
Haben Sie sich am Wahlabend von der Spannung des politischen Momentums mitreißen lassen?
Nein, ich saß relativ nüchtern davor. Ich war nach den vorangegangenen Debatten nicht überrascht. Zudem ist es mir fremd, Politik wie eine Sportveranstaltung zu betrachten – Balkendiagramme wie ein geschossenes Tor zu feiern. Das wäre eine Verniedlichung von Relevanz.
Das Spielfilmdebüt von Drehbuchautorin Nele Mueller-Stöfen ist seit dem 7. März auf Netflix verfügbar. Die Ehefrau von „Konklave“-Macher Edward Berger zeigt in ihrem Werk eine deutsche Familie bei einem Luxusurlaub in Südfrankreich. Während das Land mit sozialen Unruhen kämpft, wird auch die Familienidylle von der Wut des Proletariats heimgesucht.
Spüren Sie selbst manchmal einen inneren Konflikt, jetzt als Teil einer privilegierten Gesellschaft?
Es bleibt ein ständiger Widerspruch. Auf der einen Seite genieße ich die Gelassenheit, die Wohlstand bietet – nach all den Jahren der finanziellen Unsicherheit ist das für mich ein vermeintlicher Sieg über die Existenzangst. Auf der anderen Seite bleibt mir die Welt des Luxus und der Privilegien fremd. Ich kann nicht so tun, als sei der Überfluss selbstverständlich. Und ehrlich gesagt: Auch Wohlstand lässt Menschen verkümmern. Im Film zeigt sich das wunderbar an meiner Figur – ein ehemals erfolgreicher Mann, der spürt, dass seine alte Rolle die Zeit nicht überdauert hat.