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Woran eine schwarz-rote Koalition scheitern könnte? An den Ansprüchen der SPD und einem neuen Zeitgeist, meint die „Zeit“-Journalistin Anne Hähnig bei „Markus Lanz“.

Die erste „Markus Lanz“-Sendung nach der Bundestagswahl machte deutlich: Deutschland steht vor einem herausfordernden Regierungsbildungsprozess. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann und Juso-Chef Philipp Türmer waren am Dienstagabend im ZDF bei Zuwanderung, Mindestlohn und Schuldenbremse grundsätzlich geteilter Meinung und ließen den Ausgang der anstehenden Sondierung zwischen ihren Parteien offen.

„Diese Gespräche sind kein Selbstläufer“, stellte der SPD-Jungpolitiker fest und versicherte, dass seine Skepsis nicht auf Verhandlungstaktik, sondern auf ernsthaften Bedenken beruhe. Von CDU-Chef Friedrich Merz verlangte der Sozialdemokrat ein starkes Signal als Reaktion auf seine parlamentarische „De-facto-Zusammenarbeit“ mit der AfD im Zusammenhang mit dem Unionsantrag zur Verschärfung der Migrationspolitik.

  • Carsten Linnemann, CDU-Generalsekretär
  • Philipp Türmer (SPD), Juso-Vorsitzender
  • Anne Hähnig, Redaktionsleiterin von „Zeit Online“
  • Michael Bröcker, Chefredakteur von „Table.Media“

Dass die SPD trotz ihres historisch schlechten Wahlergebnisses als einzig plausibler Koalitionspartner des Wahlsiegers CDU/CSU in einer günstigen Verhandlungsposition ist, gab Linnemann unumwunden zu. Er hätte gerne zwei Optionen gehabt, erklärte der Christdemokrat und verglich die Situation seiner Partei mit einem mittelständischen Unternehmen, das nur einen Lieferanten habe.

Von einem „Erpressungspotenzial“ seitens der SPD wollte er allerdings nicht sprechen – schon aus atmosphärischen Gründen und wegen der Gefahren, die sich im Falle eines Scheiterns der Koalition für die Demokratie ergäben.

„Der nächste Schritt ist Österreich“, konstatierte Linnemann mit Blick auf das Nachbarland, wo die rechtspopulistische FPÖ zur landesweit stärksten Partei avanciert ist. Wenn es nicht gelinge, das Vertrauen der Bürger in die Lösungskompetenz der Mitte-Parteien wiederzugewinnen, werde die AfD beim nächsten Mal 40 Prozent erreichen, prognostizierte er. „Wenn wir in der Beschreibung der Lage einer Meinung sind, dann kriegen wir das hin“, zeigte sich der Unionspolitiker vorsichtig optimistisch.

Sein sozialdemokratischer Mitdiskutant wollte allerdings erst gar keine Harmonie aufkommen lassen. „Die Gräben in diesem Wahlkampf sind verdammt tief geworden“, beklagte Türmer. Kurz vor der Wahl habe Merz noch von „linken Spinnern“ gesprochen. Außerdem sei durch dessen Zusammenarbeit mit der AfD etwas in der demokratischen Kultur des Landes zerbrochen. „Woher sollen wir denn wissen, dass die Union uns nicht erpresst und sagt: ‚Im Zweifel suchen wir Mehrheiten, wie wir es an dieser Stelle gemacht haben, mit der AfD‘“, legte der Juso-Chef nach.

Eine NoGroKo-Kampagne der SPD-Parteijugend, wie sie 2017/2018 unter dem damaligen Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert aus Ablehnung einer erneuten Koalition mit der Union organisiert worden war, wollte Türmer vor diesem Hintergrund nicht ausschließen.

„Es deutet sich ja schon an: Die SPD wird sich sehr schwertun und wird sich das teuer abkaufen lassen. So hat sie es ja auch in der Vergangenheit schon gemacht“, kommentierte die „Zeit“-Redakteurin Anne Hähnig Türmers Äußerungen. Die vergangenen großen Koalitionen hätten auf ausgesprochen SPD-freundlichen Verträgen basiert.

Hähnig gab allerdings auch zu bedenken: „Die Zeit hat sich verändert.“ Statt mit Angela Merkel habe man es jetzt mit Friedrich Merz und einem nicht mehr besonders linken Zeitgeist zu tun, so die Journalistin. „Das werden wirklich schwierige Verhandlungen, weil die SPD verdammt viel will, aber eigentlich nicht so viel bekommen kann“, vermutete sie.

Andererseits habe die Union mit ihrer Ansage, die Verhandlungen bis Ostern abschließen zu wollen, den Preis zusätzlich in die Höhe getrieben. „Die SPD kann ja sagen: ‚Wenn ihr es schnell wollt, dann kommt uns am besten noch zwei Meter mehr entgegen.‘“

Auch hinsichtlich der Schuldenbremse, an der Linnemann bei seinem Auftritt uneingeschränkt festhalten wollte, attestierte Hähnig der Union ungünstige Ausgangslage. „Die CDU steht jetzt gerade vor der Wand“, erklärte die Journalistin unmissverständlich. Die Partei wisse genau, dass sie 200 oder 300 Milliarden für die Bundeswehr mobilisieren müsse. Das sei durch Einsparungen nicht zu machen, weshalb die CDU jetzt sogar überlege, noch mit den alten Bundestagsmehrheiten über die Schuldenbremse abzustimmen.

Dafür wäre eine Zweidrittelmehrheit notwendig, die im neuen Bundestag angesichts des Unvereinbarkeitsbeschlusses der Union in Richtung der Linken nicht zu organisieren sei, führte Hähnig weiter aus. Ihr Fazit: Es werde – schon wegen dieser Mehrheitsverhältnisse ein Sondervermögen, aber keine Veränderung bei der Schuldenbremse geben.

Juso-Chef Türmer reagierte geradezu gereizt auf das Thema. „Ich habe starke Emotionen beim Thema Schuldenbremse. Das ist schlimmer als so manche Erdnussallergie von anderen Leuten“, scherzte er. Abschaffen, aushöhlen, ändern – alles sei besser als der aktuelle Zustand. Als Symbol für die aus seiner Sicht verfehlte Schuldenpolitik wählte der Sozialdemokrat die eingestürzte Carolabrücke in Dresden.

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