Die Grünen sind bei der Jugend abgewählt, die AfD dominiert. Andere Parteien müssen ihre Strategie begreifen – und sollten endlich von ihr lernen.

Omid Nouripour sieht verloren aus. Der Grünen-Chef sitzt mit Krawatte auf der Couch, liest Jugendworte von seinem Laptopbildschirm ab: „slay“, „skibidi toilet“, „es ist fire“, „no cap“, sagt er – na ja: stammelt er eher. Am Ende fragt er seine Mitarbeiterin hinter der Kamera: „Ich hab‘ kein Wort verstanden, warum muss ich das machen? Und was heißt das alles?“

Es ist das letzte Video, das die Brandenburger Grünen vor der Landtagswahl auf ihrem TikTok-Kanal hochgeladen haben – mit der Aufforderung an junge Wähler, die Grünen zu wählen. Mit einem Augenzwinkern ist es wohl gemeint. Dahinter aber steckt viel Wahrheit, viel Verzweiflung: Nouripour versteht die Jugend nicht. Die Grünen haben sie verloren. Und so geht es nicht nur ihnen.

Vorbei sind die Tage, als Jugendliche freitags für den Klimaschutz die Schule schwänzten, in der Freizeit Eisbär-Plakate bastelten und hinter Greta Thunberg in den Großstädten aufmarschierten. „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut“ – das war gestern. Präziser: 2019.

Fünf Jahre später dominieren andere Bilder, andere Slogans. „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ grölen junge Erwachsene in einer Strandbar auf Sylt mit Aperol Spritz in der Hand. Die Junge Alternative stimmt auf der Wahlparty der Brandenburger AfD selbstbewusst den „Abschiebesong“ an: „Hey, jetzt geht’s ab, wir schieben sie alle ab!“ Junge Neonazis laufen zu Hunderten mit Springerstiefeln und Hitlergruß gegen Christopher Street Days in Ostdeutschland auf.

Auch an den Wahlurnen schlägt sich diese Stimmung schon länger nieder: Zweitstärkste Kraft war die AfD bei der jungen Wählergruppe bereits bei den Landtagswahlen im Herbst 2023 in Westdeutschland, dann auch bundesweit bei der Europawahl im Juni. Jetzt schaffte sie es in Thüringen, Sachsen und Brandenburg in der Altersgruppe mit weitem Abstand auf Platz 1. Und das mit ihren rechtsextremsten Verbänden.

Für die AfD ist das ein unschätzbarer Gewinn, die Jugend ist ihr größter Schatz. Sie ist für sie die Vorhut für einen gerade möglich erscheinenden größeren gesellschaftlichen Umschwung. Wo die Jugend hingeht, wird es – so hoffen sie – auch die älteren, traditionsverankerten Wähler bald noch stärker hinziehen. Und gerade für den völkischen Flügel ist die Jugend ein zentrales Zukunftsprojekt: Die letzten Zeitzeugen des Holocaust sterben. Jetzt beginnt mit neuer Verve ihr Angriff, um Deutschland von der Wurzel weg wieder für Rassismus und NS-Relativierung zu öffnen.

„Glaubt nicht, was in Geschichtsbüchern steht!“, ruft Björn Höcke auf seinen Veranstaltungen. Zu Dutzenden strömen Jugendliche zu seinen Reden, um zu lauschen und im Anschluss Selfies mit ihm zu schießen.

Was für Menschen wie Höcke das Hauptanliegen ist, ist für viele Jugendliche noch Beiwerk. Zur AfD getrieben werden sie aus Zukunftsangst, Krisenstimmung, Politikenttäuschung. Migration und innere Sicherheit sind auch bei ihnen jetzt dominierende Themen. Dazu kommen die Narben, die die Politik in der Corona-Zeit geschlagen hat. Die gesammelte Bundespolitik betonte da, wie arm dran die jungen Menschen seien. Bei den Beileidsbekundungen allerdings blieb es – bis heute.

Es wundert wenig, dass bei den Jugendlichen noch stärker als bei den Erwachsenen deswegen eine Hauptbotschaft der AfD verfängt: Warum anderen helfen, warum Flüchtlinge aufnehmen? Wir zuerst!

Demonstration der „Jungen Alternative“ in der Corona-Pandemie 2021: Die Jugendorganisation der AfD wird bundesweit als rechtsextrem eingestuft. (Quelle: IMAGO/IPON)

Dass Jugendliche unsteter im Wahlverhalten sind, wissen sie bei der AfD dabei ganz genau. Klüger sein wollen sie deswegen als die Grünen. Der große Exodus der Jugend soll sich bei ihr nicht wiederholen. Verhindern müsse man, dass der Zustrom der Jugend wieder „wegschwappt“, sagte AfD-TikTok-Größe Maximilian Krah gerade in einem Interview. „Wir haben die Jungs jetzt und die Mädels, jetzt müssen wir sie packen und dürfen sie nicht mehr hergeben.“

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