Diskriminierung als Problem

Experten schlagen Alarm: Arbeitsmarkt braucht Zuwanderung

Aktualisiert am 26.11.2024 – 12:39 UhrLesedauer: 4 Min.

Zuwanderung wird in vielen Branchen und Berufen benötigt (Symbolbild). (Quelle: Friso Gentsch/dpa/dpa-bilder)

Deutschland wird immer älter – und ist deswegen laut einer Studie auf Zuwanderung angewiesen. Dabei bleibt das Land vor allem aus einem Grund für ausländische Fachkräfte unattraktiv.

Der deutsche Arbeitsmarkt ist einer Studie zufolge langfristig jedes Jahr auf Zuwanderer „in substanziellen Umfang“ angewiesen. Um ein ausreichendes Angebot zur Verfügung zu haben, wären bis 2040 jährlich rund 288.000 internationale Arbeitskräfte erforderlich, wie eine Analyse im Auftrag der Bertelsmann Stiftung ergibt. Aktuell falle die Erwerbsmigration erheblich geringer aus als benötigt. Hemmnisse müssten abgebaut und Bedingungen für Migranten verbessert werden, sagt die Stiftungsexpertin für Migration, Susanne Schultz.

Der Blick auf ein Beispiel kann ernüchtern. So schildert ein 2016 aus Syrien geflüchteter, heute 29-Jähriger der Deutschen Presse-Agentur, er habe einen Bachelor und Master an Hochschulen in Nordrhein-Westfalen geschafft – und verlasse Deutschland als gut ausgebildeter IT-Spezialist jetzt trotzdem. Er gehe in die Schweiz, sagt er.

„Ich habe hier Topleistungen gebracht, um als gleichwertig wahrgenommen zu werden, aber ich habe mich diskriminiert und abgelehnt gefühlt.“ Im sozialen Leben, Studienumfeld und Nebenjob sei ihm viel Abwertung begegnet. Trotz Nebentätigkeit in einem Institut und sehr guten Master-Abschlusses habe er kein adäquates Jobangebot erhalten: „Ich möchte auf Augenhöhe behandelt werden, aber ich möchte nicht darum betteln.“

Der deutsche Arbeitsmarkt ist laut Studie auf Zuwanderung in „substanziellem Umfang“ angewiesen (Symbolbild). (Quelle: Christophe Gateau/dpa/dpa-bilder)

Expertin Schultz meint, der Fall stelle „leider keinen totalen Ausreißer“ dar. „Deutschland kann sich so etwas nicht leisten und muss attraktiver werden.“ Die Rekrutierung ausländischer Fachkräfte müsse intensiver werden, Hürden seien abzubauen, mahnt auch die Untersuchung.

Demografischer Wandel trifft Regionen unterschiedlich

Die Projektion rechnet damit, dass Deutschland im Durchschnitt bis 2040 jedes Jahr 288.000 Personen aus dem Ausland benötigt. Ein zweites Projektionsmodell, das auf einer etwas ungünstigeren Ausgangslage basiert, nimmt sogar an, dass 368.000 Personen nötig werden. Von 2041 bis 2060 sei – ausgehend auch von positiven Effekten aus vorheriger Zuwanderung – ein Bedarf von rund 270.000 Personen im Jahresschnitt zu erwarten.

Ohne zusätzliche Einwanderer würde die Zahl der Arbeitskräfte aufgrund des demografischen Wandels von aktuell 46,4 Millionen auf 41,9 Millionen – um rund zehn Prozent – sinken.

Ausbleibende Zuwanderung könnte sich regional unterschiedlich auswirken: Laut Analyse würde der Schwund im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW mit einem angenommenen Minus von zehn Prozent etwa im Mittelfeld liegen. Thüringen, Sachsen-Anhalt und das Saarland wären stärker getroffen. Aber auch in Bayern, Baden-Württemberg oder Hessen wäre der Personalmangel ohne zusätzliche internationale Arbeitskräfte groß.

Zuwanderung aus EU-Staaten sinkt

Die Zuwanderung aus anderen EU-Ländern ist unter dem Strich zuletzt stark gesunken und wird künftig kaum noch im nennenswerten Bereich liegen, heißt es. Umso wichtiger werden die Drittstaaten. 2023 sind Schultz zufolge rund 70.000 Arbeitskräfte aus Drittstaaten gekommen, aber zugleich haben 20.000 Deutschland verlassen. Das liege unter anderem an Problemen mit Aufenthaltstiteln, aber auch an Diskriminierungen.

„Deutschland hat mittlerweile ein sehr liberales Einwanderungsgesetz“, sagt die Wissenschaftlerin mit Blick auf das reformierte Fachkräfteeinwanderungsgesetz. „Es muss allerdings viel besser in die Praxis umgesetzt werden.“ Bürokratie und Personalmangel auch in Ausländerbehörden seien Barrieren.

Zudem sei ein mentaler Wechsel in so mancher Behörde geboten – „deutlicher weg von restriktiver, ablehnender Haltung hin zu aktivem Willkommen“. Es sei mehr Wissen über Rekrutierung im Ausland oder über Beurteilung von ausländischen Qualifikationen nötig. „Es gibt aber auch Erfolgsgeschichten. Vieles läuft extrem gut.“ Es würden Arbeitskräfte in fast allen Branchen gesucht – darunter Bau und Handwerk, Pflege- und Gesundheit, Tourismus und auch stark im IT-Bereich.

Gelingende Arbeitsmarktzuwanderung nutzt laut der Studie den Unternehmen, den Migranten und sollte auch „kooperative Einstellungen der einheimischen Bevölkerung gegenüber Migration nachhaltig befördern“. Allerdings: Es gebe Benachteiligung und dabei den Trend, dass Diskriminierung in gehobenen Berufen stärker zuschlage als in Jobs, die mit minderer Qualifikation ausgeübt werden könnten, sagt Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der dpa.

Prof. Dr. Herbert Brücker: Er forscht zu Integration und Arbeitsmarkt. (Quelle: Metodi Popow/imago-images-bilder)
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