Daneben ist aber offenbar noch etwas Zeit übrig. „Brauchen Demokratien den Notfall?“ heißt die Auftaktveranstaltung seiner Gesprächsreihe am Sonntagnachmittag im Berliner Ensemble, zu der Wissing und Will zu einer zweistündigen Diskussion auf die Bühne geladen hat. Die drei sitzen an einem Tisch, Habeck leitet die Unterhaltung vor ausverkauftem Haus. Für Ende November ist bereits eine zweite Ausgabe geplant. Kritischen Fragen muss sich der Grüne hier nicht stellen, er gibt den Takt vor.
Wissing präsentiert sich an diesem Sonntag als Mann der Verantwortung und Weitsicht. Er beschreibt, warum er nach dem Ampel-Bruch dennoch Minister geblieben ist. Eine gewisse Bitterkeit schwingt mit, wenn er erzählt, dass nicht immer alle in den Parteien und Fraktionen an einer Lösung gearbeitet hätten, weil sie nicht wirklich an die Sache geglaubt hätten. Anders als er selbst natürlich. Habeck wiederholt sein Mantra: „Wir wollten ja gern weitermachen.“ Aber sie durften eben nicht. Erst gezofft, dann abgewählt.
Irgendwann richtet sich dann auf der Bühne der Blick nach Europa und die USA, auf liberale Demokratien in Gefahr – nicht zuletzt wegen Desinformationskampagnen. Wissing, der mittlerweile bei einer Beraterfirma angeheuert hat, fordert mehr Engagement eines jeden Einzelnen. Habeck fragt sich, ob man den Menschen den Ernst der Lage nicht verständlicher machen müsse, dass man angegriffen werde, um dann auch die notwendigen Reformen durchzusetzen.
Wieder ist Journalistin Will das Korrektiv, die darauf hinweist, dass die Menschen Antworten auf ihre konkreten Probleme wollten. Sie ist es auch, die an einer Stelle gegen Habeck stichelt, als sie von Politikern spricht, die ihr Bundestagsmandat ernst nehmen würden. Gelächter im Saal. Ansonsten kommen Habecks eigentümlicher Abgang und seine Zukunftspläne nicht weiter zur Sprache.
Der Erkenntnisgewinn von „Habeck live“ ist begrenzt. Da sitzen zwei Ex-Politiker der Ampel-Koalition zwischen SPD, Grünen und FDP auf Bühne, die durchaus zu Recht auf mehr Anstand und weniger Aufregung in der Politik pochen. Doch von Selbstkritik ist in den zwei Stunden von den einstigen Ampel-Kollegen nichts zu hören. Die selbstgerechte Botschaft lautet stattdessen: Wenn alle so Politik gemacht hätten wie wir, wäre die Ampel nicht zerbrochen.
Hätte, könnte, wäre… Das bringt aktuell wirklich niemanden weiter. Habeck könnte die bitteren Lehren aus seiner Zeit in der Regierung nutzen, um in der Politik weiter – besser – für seine Sache einzutreten. Doch Opposition und ein einfaches Mandat, das ist offenbar nicht attraktiv genug. Nun philosophiert er vor einem Publikum in Berlin-Mitte darüber, wie sich Politik besser gestalten lässt. Statt darüber zu reden, sollte er es einfach machen.
