Der Haupttäter hatte keine Schwierigkeiten, jederzeit einen zur Vergewaltigung bereiten Komplizen zu finden. Der Fall Pelicot könnte Frankreich verändern.
Dieser Prozess markiere nichts weniger als eine Zeitenwende, hatte im November Frankreichs damaliger Premierminister Michel Barnier gesagt: Die Nachwelt werde die Geschichte Frankreichs später einmal in ein „Vorher“ und ein „Nachher“ teilen. Der Fall Pelicot ändere alles.
Nun ist der Prozess am Donnerstag mit 51 Schuldsprüchen zu Ende gegangen. Der Hauptangeklagte muss 20 Jahre in Haft, danach wird über eine Sicherungsverwahrung entschieden. Für Dominique Pelicot bedeutet dies die Höchststrafe. Es ist gut möglich, dass der 72-Jährige nie wieder einen Fuß in Freiheit setzen kann.
Auch alle anderen Angeklagten wurden schuldig gesprochen. Vor dem Gericht in Avignon brandete Jubel auf, als die Nachricht nach draußen drang.
Was ändert sich nun wirklich im Land?
Der Fall hat Frankreich aufgewühlt wie wenige andere, wegen der Monstrosität der Verbrechen ließ er sich von niemandem ignorieren. Jahrelang hatte Dominique Pelicot seine Frau Gisèle unter Drogen gesetzt und die bewusstlose Frau von Dutzenden Fremden vergewaltigen lassen. Als sie sich wegen ihrer ständigen Erinnerungslücken und gynäkologischen Probleme Sorgen machte, ernsthaft krank zu sein, spielte er den liebevollen Ehemann und begleitete sie zum Arzt – nur um sie unmittelbar danach erneut zu betäuben und im Internet zum Missbrauch anzubieten.
Jetzt sind die Urteile also gefallen. Und die große Frage, die Frankreich nun bewegt, lautet: Wie wird das „Danach“ aussehen? Was ändert sich wirklich im Land?
Ein paar Dinge sind bereits von der Regierung beschlossen worden: Tests, mit denen Frauen feststellen können, ob sie betäubt wurden, sollen künftig einfacher zur Verfügung gestellt werden. Außerdem sollen Frauen in allen Krankenhäusern direkt Anzeige gegen mutmaßliche Missbrauchstäter erstatten können – weil Krankenhäuser zumeist die erste Anlaufstelle von Frauen sind, die sexualisierte Gewalt erfahren haben.
Zudem wird darüber diskutiert, das Strafgesetz zu ändern: Eine Vergewaltigung liegt in Frankreich bisher nur vor, wenn der Täter Gewalt oder Zwang ausübt oder damit droht. Unter dem Eindruck des Pelicot-Prozesses hat sich der französische Justizminister bereits dafür ausgesprochen, dies zu ändern, sodass künftig sexuelle Handlungen ohne explizite Zustimmung als Straftat gelten, also eine Ja-heißt-Ja-Regel in den Paragrafen 222-23 aufgenommen wird.
Gisèle Pelicot wünscht sich einen grundlegenden Wandel
Aber was ist mit den großen, gesellschaftlichen Fragen? Wird sich auch das alltägliche Verhältnis zwischen Frauen und Männern in Frankreich fundamental ändern?
Gisèle Pelicot selbst hat während des Prozesses mehrfach deutlich artikuliert, dass sie sich das wünscht: Die Scham müsse die Seiten wechseln, zitierte sie eingangs eine feministische Forderung. Nicht die Opfer von sexualisierter Gewalt sollten das Bedürfnis haben, sich zu verstecken, sondern die Täter.
Vielleicht war diese Haltung die Initialzündung. Gisèle Pelicot hätte anonym bleiben können, sie hätte verlangen können, dass die von ihrem Mann gefilmten Vergewaltigungen nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit gezeigt werden. Aber sie wollte, dass ihr immenses, persönlich erfahrenes Leid noch etwas Gutes bewirkt – und entschied sich deshalb für vollständige Offenheit.
Gisèle Pelicot hatte von Anfang an eine klare Botschaft. Im Prozess forderte sie: „Erzieht eure Söhne.“ Und sie sagte: „Ich möchte, dass sich jede Frau, die eines Morgens aufwacht und sich nicht an die vergangene Nacht erinnern kann, an meinen Fall denkt.“ Keine Frau dürfe mehr Opfer der „Soumission chimique“ werden, wie in Frankreich Vergewaltigungen genannt werden, bei denen die Täter K.-o.-Tropfen oder andere Drogen verwenden, um Frauen zu betäuben. „Chemische Unterwerfung“ lautet die wörtliche Übersetzung.