Schiff um Schiff versenkten deutsche U-Boote im Ersten Weltkrieg. Mit einer revolutionären Tarnung wollte Großbritannien Gegenwehr leisten. Ob das Verwirrspiel erfolgreich war, ist umstritten.
Im Jahr 1917 sandte Großbritannien merkwürdige Fahrzeuge auf die Meere. Schiffe, die in scheinbar irrwitzigen geometrischen Formen gebaut worden waren, bei denen Beobachter unsicher waren, ob sie sich nun näherten oder entfernten. Waren sie groß oder schmal, lang oder kurz? Gar nicht so einfach zu sagen. Dabei waren die merkwürdigen Wasserfahrzeuge, aus kurzer Entfernung betrachtet, ganz normal konstruiert, nur ihr Anstrich war außergewöhnlich: Streifen, Rechtecke und allerlei andere geometrische Figuren, dazu unterschiedliche Farben zur Erzeugung von Kontrasten.
All das geschah in offiziellem Auftrag. Denn die kuriose Schiffsbemalung, die an Zebras erinnert, diente dem Überleben Großbritanniens im Ersten Weltkrieg. Als deutsche U-Boote mehr und mehr britische Handelsschiffe versenkten, suchte die Royal Navy nach Gegenmitteln. Ein solches bot der Maler Norman Wilkinson an. Er diente selbst im Krieg bei der Royal Navy. „Dazzle“, zu Deutsch „blenden“, lautete sein Vorschlag. Da die feindlichen U-Boote die britischen Schiffe mit optischen Vorrichtungen anpeilten, wollte Wilkinson die Deutschen mit seinen Dazzle-Mustern verwirren.
Ein „normales“ Schiff zu versenken, ist die eine Sache. Ein Schiff zu beschießen oder zu torpedieren, bei dem etwa unklar ist, wo Heck und Bug liegen, ist ein noch weitaus schwierigeres Unterfangen. Wilkinson wollte die britischen Schiffe also nicht vor den auf der Lauer liegenden deutschen U-Booten verstecken, eine unmögliche Aufgabe – er wollte es dem Gegner nur sehr, sehr schwer machen.
Eine Affinität zum Meer und zur Seefahrt hatte Wilkinson schon vor seiner Zeit bei der britischen Marine gehegt, er malte Schiffe, zugleich hingen seine Bilder im Inneren von Schiffen. So nahm die „Titanic“, als sie 1912 auf den Grund des Atlantiks sank, ein Kunstwerk von Wilkinson mit in die Tiefe. Das künstlerische Handwerk hatte Wilkinson also schon vor dem Weltkrieg erlernt; in diesem mörderischen Konflikt erfuhr er dann die Angst von Seeleuten vor der Attacke durch ein U-Boot. Denn Wilkinson fuhr selbst bei Einsätzen mit, die Idee für die Dazzle-Camouflage reifte nach und nach.
Aber war diese Idee nicht abwegig, schier verrückt, Schiffe in wirren Mustern anzumalen? Ja, schon. Aber 1917 hatte die Royal Navy bereits so viele Einheiten verloren, dass sie bereit war, auch scheinbar irrsinnige Ideen auszuprobieren. Wilkinson erhielt Männer und Frauen für die Arbeit, es fand sich eine Werkstatt, dann erprobten sie, wie wild sie es treiben mussten mit dem Dazzle, um ein Höchstmaß an Verwirrung zu stiften. An Modellen wurden verschiedene Anstriche erprobt, später dann an den größeren Pötten aufgetragen.
So liefen immer mehr britische Handels- und Kriegsschiffe in Dazzle-Mustern aus, am Ende waren es mehr als 4.000. Auch die USA griffen diese „Tarntechologie“ nach ihrem Kriegseintritt am 6. April 1917 auf und pinselten zu „Zebras“ um. „Razzle dazzle“, nannte man es in den Vereinigten Staaten. Wilkinson war allerdings nicht der Erste und auch nicht der Einzige, der in derartigen Bahnen dachte.
John Graham Kerr etwa, ein Zoologe, hatte sich bereits 1914 mit einem ähnlichen Gedanken an Winston Churchill, damals Erster Lord der Admiralität, gewandt. Kerr war von der Natur inspiriert worden, die in Form von Zebras, aber auch anderen Tieren eine ganze Menge an äußerst effektiven Tarnmethoden entwickelt hat. Durchsetzen sollte sich Jahre später aber Wilkinson, der aufgrund seiner Marineaffinität ohnehin schon einen guten Draht zu den Offizieren der Royal Navy hatte, so der Autor Peter Forbes in seinem Buch „Dazzled and Deceived“.