Franz Beckenbauers Todestag jährt sich zum ersten Mal. Exklusiv bei t-online erklärt Matthias Sammer, warum Deutschland für ihn im Umgang mit dem Kaiser versagt hat.
Vor genau einem Jahr, am 7. Januar, verstarb Franz Beckenbauer im Alter von 78 Jahren. Nach dem Tod seines Freundes und Vorbilds fand Matthias Sammer schon damals schonungslos offene und zugleich harte Worte.
„Ich finde es unwürdig und schäme mich ein Stück weit dafür, was wir, dieses ganze Land und unsere Medien ihm angetan haben“, sagte er und klagte an: „Deutschland hat ihm gegenüber versagt.“ (Das komplette Interview können Sie hier nachlesen.) Es sind Sätze, die auch ein Jahr später noch immer nachhallen. Wie er heute dazu steht? Anlässlich des ersten Todestags von Beckenbauer nahm sich Sammer erneut Zeit, exklusiv mit t-online darüber zu sprechen – und bekräftigte seine Vorwürfe.
Matthias Sammer (57) ist als ehemaliger Profi, Trainer und Funktionär in Deutschland bekannt. Als Spieler wurde er 1996 mit der deutschen Nationalmannschaft Europameister. Ein Jahr später gewann er mit Borussia Dortmund die Champions League. Von 2006 bis 2012 arbeitete er für den DFB, von 2012 bis 2016 dann als Sportvorstand für den FC Bayern. Aktuell ist er Berater von Borussia Dortmund und zudem regelmäßig als TV-Experte bei Amazon Prime im Einsatz.
t-online: Herr Sammer, bereits unmittelbar nach dem Tod von Franz Beckenbauer wurden Sie damals im t-online-Interview sehr deutlich und kritisierten den Umgang mit ihm scharf. In den vergangenen zwölf Monaten ist viel passiert, Beckenbauer erfuhr posthum viele Ehrungen und Würdigungen. Ist das zumindest ein wenig Wiedergutmachung?
Matthias Sammer: Im Nachhinein sind ihm jetzt viele positive Dinge widerfahren – und das zu Recht. Der FC Bayern hat dazu beigetragen, ihm das zu geben, was er verdient hat. Auch der DFB und DFL haben sich Gedanken darüber gemacht, wie man so eine Persönlichkeit würdigen kann. Ich muss aber trotzdem eins sagen.
Franz fehlt. In allererster Linie seiner Familie, aber auch uns allen mit seiner gesamten Art und Weise. Die Anerkennung, die ihm jetzt zuteilwurde, betrachte ich zwar positiv. Sie kommt leider aber ein bisschen zu spät.
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Sie bleiben also dabei, dass Sie sich dafür schämen, was Deutschland Franz Beckenbauer angetan hat?
Definitiv. Franz war als Mensch für uns alle und auch für mich persönlich ein absolutes Vorbild. Mit seinem Auftreten, seiner Natürlichkeit, seiner Souveränität, seiner Klarheit. Er hat sich nie selbst in den Mittelpunkt gestellt, wollte aber immer das Beste erreichen. Auf Klubebene hat er das als Spieler geschafft und mit Bayern den Pokal der Landesmeister dreimal in Folge gewonnen. Mit der Nationalmannschaft ist er 1972 Europameister und sowohl als Spieler 1974 als auch als Trainer 1990 Weltmeister geworden, hat die WM 2006 nach Deutschland geholt und zu einem unvergesslichen Erlebnis für uns alle gemacht. Diese Kombination aus fachlicher und menschlicher Qualität hat mich bei ihm immer beeindruckt.
Ich erzähle heute meinen Kindern von ihm. Wenn wir über Vorbilder reden, sage ich ihnen, dass Franz Beckenbauer nicht unterschieden hat, wer in welcher Position ist. Er hat immer den Menschen im Mittelpunkt gesehen und alle gleich behandelt.
Können Sie ein Beispiel geben?
Als ich noch gemeinsam mit ihm als Fernsehexperte gearbeitet habe, war das einfach fantastisch, wie er den Menschen gegenüber aufgetreten ist. Er hat alle mit Handschlag begrüßt, war immer freundlich und nett. Die Würde, mit der er allen begegnet ist, hat mich sehr beeindruckt. Und ist es nach wie vor. Deshalb ist es für mich auch nicht mehr wiedergutzumachen, was wir ihm angetan haben.
Was meinen Sie damit genau?
Das, was Franz widerfahren ist, die Defizite dieser Zeit, der Gesellschaft, sowohl von der Politik als auch vom Sport her – Deutschland hat ihm gegenüber versagt.
Sie beziehen sich auf die Korruptionsvorwürfe im Zusammenhang mit der Vergabe der WM 2006 nach Deutschland und den Umgang damit?
Bei allem, was er tat, wollte er nur das Beste. Im Fußball muss man sich immer durchsetzen – als Spieler, Trainer und auch, wenn man ein großes Turnier nach Deutschland holen soll. Dabei musste er sich mit Situationen auseinandersetzen, für die er nicht verantwortlich ist. Man mag es als eine gewisse Art von „Korruption“ betrachten, wenn du in einem solchen System Stimmen von Menschen brauchst, um ein Turnier zu bekommen. Das will ich gar nicht bewerten. Es ist ja auch alles nicht bewiesen, was dazu möglicherweise notwendig war.