Bei der Kontrolle eines Passanten findet die Polizei in Neukölln einen Sprengsatz. Beamte kümmerten sich noch vor Ort darum. Laut einem Fachmann haben sie dabei ihr Leben riskiert.
Die Explosion war noch in mehreren Hundert Metern Entfernung zu hören: Die Polizei hat am Mittwochnachmittag in Berlin-Neukölln am Fundort eine Tüte mit einem explosiven Stoff namens TATP sicherheitshalber gesprengt. Zuvor hatte sich ein Mann einer verdachtsunabhängigen Kontrolle durch die Bundespolizei entzogen. Dabei fiel den Beamten die Tüte in die Hände, der Mann konnte flüchten.
- Tüte mit gefährlichem Inhalt: Es war hochexplosiver Sprengstoff
t-online hat mit dem Waffenexperten Lars Winkelsdorf über den Fall gesprochen. Er sagt, es hätte weit Schlimmeres passieren können.
t-online: Herr Winkelsdorf, die Polizei hat ein halbes Kilogramm Sprengstoff des Typs TATP unschädlich gemacht. Wie gefährlich ist dieser Stoff?
Lars Winkelsdorf: TATP ist die Abkürzung für Tricaetontriperoxid, das ist hochgradig explosiv. Obendrein ist es sehr instabil: Normalerweise soll ein Sprengstoff nicht nur explodieren, sondern er muss auch in der Handhabung sicher sein. Der Nutzer muss ihn von A nach B transportieren können. Das ist bei TATP nicht der Fall. Der Stoff bildet Kristalle, die bereits bei geringster Einwirkung explodieren können.
Was für eine Einwirkung könnte das sein?
Da reicht eine kleine Erschütterung. Der Stoff kann sich sogar unter dem Druck seines eigenen Gewichts entzünden.
Lars Winkelsdorf ist ein deutscher Journalist, Autor und Sachverständiger für Schusswaffen und Munition. Er ist etwa für Rechtsanwälte bei waffentechnischen und waffenrechtlichen Fragestellungen tätig.
Es hätte also auch zur versehentlichen Detonation kommen können, wenn die Tüte auf den Boden gefallen wäre?
Ja, solche Fälle hat es schon häufiger gegeben.
Was hätte der Mann mit dem halben Kilogramm machen können?
Das hängt davon ab, wie er den Sprengstoff eingesetzt hätte. Hätte er den Stoff so, wie er ist, gesprengt, wäre er in unmittelbarer Nähe absolut tödlich. Unsere Körper sind nicht dafür konstruiert, Sprengbeschleunigungen von 7.000 Metern pro Sekunde in einem Stück zu überstehen. Eine Explosion hätte Umstehenden die Gliedmaßen oder den Kopf abreißen können. Um den Sprengsatz war zudem Draht gewickelt, der bei einer Explosion ähnlich wie eine Splittergranate wirkt. Die Detonation beschleunigt die Splitter, welche dann wie 1.000 oder 2.000 kleine Geschosse wirken und im Umkreis von bis zu 25 Metern tödliche Verletzungen verursachen.
Welche Möglichkeiten hätte es noch gegeben?
TATP kam zum Beispiel im Irak oder beim Attentat in Paris 2015 zum Einsatz. Die Täter können es wirklich vielseitig anwenden. Das reicht von einer einfachen Sprengstoffweste bis hin zu Autobomben.
Die Polizei hat zudem Kabel an dem Stoff gefunden.
Dabei handelt es sich vermutlich um den Zündmechanismus. Das heißt, dass der Täter den Sprengstoff nicht mehr zur Vorbereitung transportiert hat, sondern er bereits beabsichtigte, ihn zu gebrauchen.
Wie könnte der Täter an den Sprengstoff gekommen sein?
TATP ist verhältnismäßig einfach und günstig mit Haushaltsmitteln herzustellen. Das könnte jeder von uns in seiner eigenen Küche schaffen. Ich will keine Anleitung dazu geben, aber es reicht, wenn Sie etwas Wasserstoffperoxid und wenige weitere Zutaten kaufen. Die benötigten Stoffe sind alle legal und lassen sich als Gegenstände des Alltagsbedarfs praktisch unmöglich verbieten.
Und wie macht man so einen gefährlichen Sprengsatz unschädlich?
Der einzige Weg ist, ihn direkt vor Ort zu sprengen. Das ist die gängige Methode – und trotzdem noch sehr riskant. Die beteiligten Polizisten haben ihr Leben aufs Spiel gesetzt, als sie den Stoff gesprengt haben. Hut ab davor, wie die Behörden das gelöst haben. Da hätte viel, viel Schlimmeres passieren können. Eine alte Fliegerbombe aus dem 2. Weltkrieg hat zwar eine größere Sprengkraft, aber in Bezug auf die Instabilität ist sie harmlos im Vergleich zu TATP. Die Beamten verdienen Lob und Anerkennung.