Urlaub an verlassenen Orten oder Städten mit einer gruseligen Geschichte. Der „Dark Tourism“ liegt aktuell im Trend. Aber was steckt eigentlich dahinter?

Wann die Sache mit dem sogenannten Dark Tourism begann, ist reine Ansichtssache. Manche Experten betrachten die Gladiatorenkämpfe der Römer als eine erste Form davon. Andere halten für den Beginn dieser Tourismussparte die Tatsache, dass sich während Queen Victorias Herrschaft in Großbritannien so mancher Wächter ein paar Münzen dazuverdiente, indem er Neugierigen Zutritt in die Leichenschauhäuser verschaffte.

Heutzutage sind mit den dunklen Seiten des Tourismus nicht ausschließlich, aber vor allem Standorte von Massenmord und Naturkatastrophen gemeint. Unabhängig vom Ausmaß des Unglücks eint sie eines: der Tod.

Und der hat gegenwärtig Hochkonjunktur. So sagt das US-Institut Future Market Insights dem Katastrophentourismus in den nächsten Jahren großartige Wachstumszahlen voraus. Dieses Jahr werden weltweit rund 32 Milliarden US-Dollar (rund 29,4 Milliarden Euro) Umsatz erwartet. Doch dank jährlicher Zuwachsraten von 2,5 Prozent dürfte der Markt in zehn Jahren zirka 41 Milliarden US-Dollar erreichen.

Neugier oder Voyeurismus?

Ein Grund, warum dieser touristische Nischenmarkt blüht, ist das Bedürfnis der Besucher, sich mit den dunkleren Kapiteln der Geschichte zu beschäftigen. Es geht also ums Gedenken und Verstehen. Eine andere Ursache ist die menschliche Neugier, die bei furchtbaren Ereignissen oft einen unerträglichen Voyeurismus entwickelt. „Der Zerstörung liegt eine ureigene Faszination zugrunde“, erklärt Philip Stone, Direktor des Instituts für Dark Tourism Research der britischen Universität von Central Lancashire, das Phänomen.

Dem Wissenschaftler zufolge trennen zudem Schauerstätten für Besucher das Gewöhnliche vom Außergewöhnlichen. Es geht um die Grenzerfahrung, sich der eigenen Sterblichkeit zu stellen. Denn Naturkatastrophen sowie jede Art von Massenmord können zu jeder Zeit überall geschehen. Es kann also jeden treffen – unabhängig von Macht, Klasse, Bildung und Einkommen.

Beliebter Ort: Die Katakomben von Paris

In Bezug auf bedeutende Dark-Tourism-Orte gibt es Unterschiede zwischen den meistbesuchten beziehungsweise eindrucksvollsten Stätten. Mit rund 1,2 Millionen Besuchern im Jahr 2022 steht Auschwitz zahlenmäßig mit Abstand an der Spitze. Die Katakomben von Paris mit den aufgestapelten Gebeinen von sechs Millionen Toten kommen auf eine halbe Million Neugierige pro Jahr, Kambodschas Killing Fields auf knapp 200.000 Personen. Gelungene Mahnmale des Schreckens sind außerdem Ground Zero in New York, Hiroshima und Nagasaki.

Für den Kenner und Betreiber der Website „dark-tourism.com“ Peter Hohenhaus, handelt es sich dabei jedoch nicht um die Mahnmale, die ihn am meisten beeindruckt haben. Vielmehr packte ihn emotional die Sperrzone von Tschernobyl mit der Geisterstadt Pripjat. Zum einen, sagte er dem Reiseportal „travelbook.de“, war es „eine Zeitreise sowohl in die sowjetische Vergangenheit als auch in eine postapokalyptische Zukunft, wenn es die menschliche Zivilisation nicht mehr geben wird und sich die Natur unsere Betonwelten wieder zurückholt“.

Gesellschaftliche Unterschiede zum Tod

Die andere Stätte, die Hohenhaus fast traumatisierte, liegt auf einem Hügel im Südwesten Ruandas. Die Völkermordgedenkstätte Murambi erinnert an das Massaker am 21. April 1994, als dort Hutu-Milizen über 50.000 Tutsi in weniger als einem Tag abschlachteten. Es war nur eines von vielen Verbrechen jenes Jahres, dem schätzungsweise eine Million Menschen, meist Tutsi, zum Opfer fielen. Murambi erschüttert Besucher, weil sie mit Kalk mumifizierte Leichen unverhüllt betrachten, denen Grausamkeiten angetan wurden, die sich niemand vorstellen mag.

Wenn in Ruanda aus westlicher Perspektive Leichen unverblümter und drastischer zur Schau gestellt werden, als es zum Beispiel in Konzentrationslagern der Fall ist, dann spricht Philip Stone vom Unterschied der Kulturen. Dark Tourism erzählt dem britischen Wissenschaftler viel darüber, welches Verhältnis einzelne Gesellschaften zum Tod haben. Und zumindest in vielen westeuropäischen Ländern ist das eher ein Tabu.

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