Schwächelnde Wirtschaft, Druck aus den USA, Reformstau bei Rente und Bürokratie: Bankenverband-Chef Herkenhoff wirbt für schnelle Koalitionsverhandlungen angesichts der vielen Probleme.
Die Klagen der Wirtschaft sind im Bundestagswahlkampf mit wenig Resonanz verhallt. Nun stehen Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD bevor. Hoffnungen und Druck wachsen, dass die neue Regierung dem Abwärtstrend der deutschen Wirtschaft etwas entgegensetzt.
Heiner Herkenhoff, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes, erklärt im Gespräch mit t-online, welche Probleme eine neue Bundesregierung als Erstes angehen sollte, welche Lösung er für das Rentenproblem sieht und was er mit seiner Forderung nach einem „Enkeltrick-Gipfel“ meint.
t-online: Die Bundesbank hat in dieser Woche zum ersten Mal seit den Siebzigern einen Verlust gemeldet. Unsere Wirtschaft befindet sich seit zwei Jahren in einer Rezession. Wann geht es wieder bergauf?
Heiner Herkenhoff: Die Schwächephase der deutschen Wirtschaft hält sogar schon länger an, mindestens seit 2019. Deutschland ist seitdem praktisch nicht gewachsen. Ohne Deutschland hatten die übrigen Länder des Euroraums in diesem Zeitraum ein Wachstum von mehr als sechs, die USA sogar von gut zwölf Prozent. Unsere wirtschaftliche Schwäche hängt folglich mit den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland zusammen. Wenn diese sich verbessern, dann gibt es auch wieder Hoffnung auf Wachstum.
Wie zufrieden sind Sie also mit dem Ergebnis der Bundestagswahl?
Es ist gut, dass eine stabile Regierung mit wenigen Parteien gebildet werden kann. Gleichzeitig ist es besorgniserregend, dass radikale und populistische Parteien eine Sperrminorität haben und so wichtige Entscheidungen blockieren könnten. Es hängt jetzt viel davon ab, dass eine neue Regierung schnell Entscheidungen trifft und Wachstumsbremsen ausräumt.
Ist Merz der Richtige für das Kanzleramt?
Ich denke schon, zumal die Union die mit Abstand meisten Wählerstimmen gewinnen konnte. Jetzt kommt es aber erst einmal darauf an, eine Regierung zu bilden.
Sie haben in den 90er-Jahren das Büro des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl geleitet. Wie viel Kohl steckt denn in Merz?
Merz und Kohl eint ihre Haltung zu Europa. Beide sind, beziehungsweise waren, davon überzeugt, dass die EU der Schlüssel für die Lösung unserer Probleme sein kann. Dieses Denken kam mir in den vergangenen Jahren zu kurz.
Eine Ihrer wichtigsten Forderungen vor der Wahl war der Abbau von Bürokratie und Regulierungen. Glauben Sie, dass das nun umgesetzt wird?
Die Deutschen wollen, dass es in dieser Frage vorangeht. Wir brauchen eine schnelle Regierungsbildung und dann zügig erste Fortschritte. Wir werden nicht alle Probleme mit einem 100-Tage-Plan gelöst bekommen. Aber ich bin optimistisch, dass es zu einer Wirtschaftswende kommt.
Heiner Herkenhoff ist seit 2023 Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands deutscher Banken, in dem die deutschen privaten Kreditinstitute zusammengeschlossen sind.
Herkenhoff studierte Politikwissenschaften, Geschichte und Philosophie in Münster und Bonn. Danach war er in der Politik tätig, darunter von 1995 bis 1998 als Büroleiter des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl. Es folgte eine Station bei KPMG. 2000 wurde er Mitglied der Geschäftsführung des Bankenverbands für den Bereich Presse und Kommunikation. Ab 2009 war er Beauftragter des Vorstands und Bereichsleiter Public Affairs der Commerzbank AG.
Der argentinische Präsident Javier Milei und Trump-Berater Elon Musk treten aktuell als Vorreiter der Deregulierung auf und unterstreichen ihren Durchsetzungswillen auf der Bühne gerne einmal mit einer Kettensäge. Muss Merz auch so rabiat durchgreifen?
Die Kettensäge ist mir zu martialisch, aber wir müssen in Deutschland endlich verstehen, dass die Bürokratie ein wesentlicher Hemmschuh für Wachstum ist. Das gilt auch für die EU. Selbst wenn sofort auf die Bremse getreten würde, stünden allein im Bankensektor noch um die 400 Regulierungsvorhaben aus.
Sollte Merz sich also mit seiner Parteifreundin Ursula von der Leyen in Brüssel anlegen?
Merz sollte auf europäischer Ebene klar Position beziehen. Er muss das sogenannte German vote in Brüssel beenden, also dass Deutschland sich bei Abstimmungen raushält.
Die Union hat im Wahlkampf versprochen, die Schuldenbremse einzuhalten. Nun will Merz noch vor der Regierungsbildung mit Stimmen der alten Ampelkoalition diese anpassen. Was halten Sie davon?
Es gibt künftig einen erheblichen Finanzierungsbedarf – gerade in der Verteidigung. Rund 30 bis 50 Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr. Dafür muss es eine Lösung geben.