Tausende Menschen kommen in Berlin aktuell zum Weltgipfel für Menschen mit Behinderung zusammen. Ein kleinwüchsiger Arzt der Berliner Charité erklärt, warum das notwendig ist.
In Berlin treffen sich am Mittwoch (2. April) und Donnerstag (3. April) mehr als 3.000 Menschen aus 100 Ländern beim Weltgipfel für Menschen mit Behinderung. Sie alle möchten die Barrierefreiheit und die Inklusion voranbringen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und der jordanische König Abdullah II. eröffneten den „Global Disability Summit“ in der deutschen Hauptstadt.
Mit dabei ist auch Dr. Leopold Rupp. Er lebt mit Diastrophischer Dysplasie, einer angeborenen Form der Kleinwüchsigkeit. Diese geht mit einer kleineren Körpergröße und Veränderungen des Skelettsystems einher. Das führt dazu, dass er hauptsächlich einen Rollstuhl nutzt. Trotzdem arbeitet er als Arzt der Allgemeinmedizin in der Charité in Berlin, reist in der Welt umher und war 2012 außerdem als Sportschütze bei den Paralympics in London dabei.
Im Interview erklärt er, warum Menschen mit Behinderungen zu der Gesellschaft dazugehören, wie sein Arbeitsalltag als Arzt aussieht und warum ihm die Entwicklungen in den USA Sorgen bereiten.
t-online: Herr Rupp, was sind die größten und häufigsten Fehler, die Personen im Umgang mit Menschen mit Behinderung machen?
Leopold Rupp: Sie sind zu schüchtern oder zu vorsichtig. Ein Beispiel: Ich fliege gerne mit Freunden in den Urlaub. Dann kommt am Flughafen ein Mitarbeiter zu uns, der mir wegen meines Rollstuhls ins Flugzeug hilft. Aber der spricht meinen Freund an und nicht mich. Dann denke ich: „Hallo, Rupp mein Name, Sie können auch gerne mit mir reden.“
Wieso spricht diese Person Sie in einem solchen Moment nicht selbst an?
Ich glaube, viele Personen wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen, dass der Mensch vor ihnen eine Behinderung hat. Aber keine Sorge: Der Mensch mit Behinderung wird einem schon sagen, wenn etwas nicht okay ist. Die Gesellschaft muss die Scheu abbauen. Aber wir sind da relativ weit mittlerweile. Es ist sicherlich deutlich besser als noch vor 10 oder 20 Jahren.
Können Sie denn nachvollziehen, dass Menschen Angst davor haben, Fehler zu machen?
Voll. Andererseits sind Menschen mit Behinderungen auch ein Durchschnitt der Bevölkerung. Ich glaube, man muss mit Behinderten genauso umgehen, wie man mit jedem anderen Menschen umgehen würde.
Ihr Alltag ist sicherlich komplizierter als der von den meisten Menschen. Was sind Ihre größten Probleme?
Es gibt einen schönen Spruch, der besagt: Man ist nicht zwingend behindert, sondern man wird behindert.
Das müssen Sie erklären.
Die Umwelt ist der entscheidende Punkt. Wenn etwa alle Stationen im öffentlichen Nahverkehr barrierefrei sind, ist es für mich in meinem Alltag wenig einschränkend. Wenn es nicht so ist, dann wird es schwieriger.
Wie häufig stehen Sie vor solchen Herausforderungen?
Gerade eben noch. Ich wollte am Rosenthaler Platz aussteigen, aber da wird der Fahrstuhl bis Juli repariert. Dann bin ich weiter zum Alexanderplatz und die gesamte Strecke hierher gerollt. Das ist in Ordnung für mich. Aber das ist sozusagen eine Behinderung, die mich behindert.
Bleiben wir beim Thema Barrierefreiheit. Gibt es grundsätzlich Verbesserungspotenzial in Berlin und deutschlandweit?
Es ist besser geworden, aber wir hinken natürlich trotzdem massiv hinterher. In Berlin haben weiterhin nicht alle U-Bahn-Stationen einen Fahrstuhl. Deutschland hat die UN-Behindertenrechtskonvention unterschrieben. Da hat sich der Staat dazu verpflichtet, den öffentlichen Raum barrierefrei zu gestalten.
Ich kann zwar keinen Marathon laufen, aber das können andere Menschen auch nicht.
Leopold Rupp
Woran scheitert es insbesondere?
Es ist hauptsächlich eine Geldfrage. Man muss sich als Gesellschaft überlegen, ob wir uns Behinderung leisten können und wollen. Wenn man das mit Ja beantwortet, dann muss man investieren. Ich glaube, auf lange Sicht wäre das ein Investment für die alternde Gesellschaft. Natürlich müssen etwa Aufzüge gewartet oder renoviert werden. Aber wenn man es schafft, die Umwelt barrierefreier zu machen, dann führt es vielleicht dazu, dass ältere Menschen nicht so schnell ins Pflegeheim müssen. Marktwirtschaftlich ist das zudem günstiger, wenn Senioren weiter in ihren Wohnungen leben können. Dann kommt vielleicht zweimal am Tag ein Pflegedienst vorbei, aber sie müssen keine 6.000 Euro im Monat für einen Platz im Heim zahlen.