Bundeskanzler Scholz und mehrere seiner Minister reisen nach Indien, um im großen Stil Fachkräfte für Deutschland anzuwerben. Doch im Hintergrund schwelt ein ganz anderes Problem.

Wenn Olaf Scholz an diesem Donnerstag nach Indien reist, dann tut er das mit einem Rucksack voller Erwartungen. Drei Tage nimmt er sich Zeit. Zwei seiner Minister sind schon vor Ort: sein SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil und sein grüner Wirtschaftsminister Robert Habeck. Neben einem bilateralen Treffen zwischen dem Kanzler und dem indischen Premierminister Narendra Modi soll es am Freitag unter dem Vorsitz der Regierungschefs eine gemeinsame Plenarsitzung aller Teilnehmenden der Regierungskonsultationen geben. Ziemlich großer Bahnhof also.

Und das nicht ohne Grund. Denn die Gespräche in Neu-Delhi könnten für Deutschland in diversen Bereichen entscheidend sein. Erst vergangene Woche Mittwoch hat die Bundesregierung das Grundsatzdokument „Fokus auf Indien“ beschlossen. Künftig soll die Zusammenarbeit in einer ganzen Reihe von Bereichen ausgebaut werden. Etwa bei den Wirtschafts- und Handelsbeziehungen, bei der Fachkräftegewinnung und nicht zuletzt bei der Außen- und Sicherheitspolitik.

Das Problem: Scholz ist nicht der einzige, der auf eine engere Partnerschaft mit Indien setzt. Auch der russische Präsident Wladimir Putin hat sich längst um die Gunst des indischen Premierministers bemüht.

Auch das dürfte der Kanzler im Hinterkopf haben, wenn er am Freitag auf Modi trifft. Nur wenige Tage vor dem Besuch von Scholz war der indische Premierminister zu einem Gipfeltreffen der sogenannten Brics-Staaten im russischen Kasan gefahren. Fast schon innig hatten Putin und er sich zur Begrüßung umarmt. Anschließend hatte der russische Präsident die guten Beziehungen der beiden Länder ausdrücklich gelobt. Modi war im Juni schon einmal nach Russland gereist.

Gute Freunde? Premierminister Modi und Putin liegen sich zur Begrüßung in den Armen. (Quelle: Alexander Zemlianichenko/ap)

Bereits im Juni hatte der indische Premierminister Putin angeboten, im Ukraine-Krieg zu vermitteln, und es nun noch einmal wiederholt. „Wir unterstützen vollständig die schnellstmögliche Wiederherstellung von Frieden und Stabilität“, so Modi auf dem Brics-Treffen in dieser Woche. Probleme sollten auf friedliche Weise gelöst werden, erklärte er. Da Indien das Humanitäre im Blick habe, sei das Land mit allen Seiten in Kontakt und auch künftig bereit, „jede Art von Unterstützung“ zu leisten, um den Krieg zu beenden.

Bleibt die Frage, was Modi unter der „Wiederherstellung von Frieden“ und „jede Art der Unterstützung“ versteht. Und: Was bedeutet es am Ende für Deutschland, wenn Indien zu Russland derart enge Beziehungen pflegt?

Wenn Scholz, Heil und Habeck in Indien unterwegs sind, trifft die Bundesregierung hier auf einen Partner, von dem keiner weiß, wie verlässlich er ist. Das trübt einerseits die Stimmung. Andererseits ist die Zusammenarbeit mit Indien für Deutschland extrem wichtig – besonders mit Blick auf die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt.

So sollen künftig etwa im großen Stil Fachkräfte aus Indien angeworben werden, um die Lücken auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu schließen, zum Beispiel im Handwerk, aber auch im Gesundheitssektor. Laut der Bundesagentur für Arbeit waren allein im vierten Quartal 2023 rund 1,73 Millionen offene Stellen zu besetzen. Der demografische Wandel dürfte das Problem in den kommenden Jahren weiter verschärfen.

Arbeitsminister Heil erklärte deshalb: „Deutschland braucht mehr wirtschaftliche Dynamik, und dafür braucht es qualifizierte Fachkräfte.“ Die Regierung ziehe zwar „alle Register im Inland“, Deutschland brauche aber auch qualifizierte Fachkräfteeinwanderung aus dem Ausland. Indien bringe dafür alle Voraussetzungen mit, sodass für beide Länder die Fachkräfteanwerbung ein Gewinn sei. Mithilfe von digitalen Visa, Deutschkursen und Jobmessen in Indien will man die Arbeitskräfte also nun locken.

Hinzu kommt, dass Indien als seit Jahren am schnellsten wachsender G20-Staat und angesichts der immer größeren Bedenken im Umgang mit China für das Exportland Deutschland wirtschaftlich geradezu überlebenswichtig geworden ist. Das mit 1,4 Milliarden Menschen bevölkerungsreichste Land der Welt tut sich immer mehr als führende Kraft des Globalen Südens hervor.

Allerdings muss der Kanzler sich auch fragen, wo genau Indien in der „neuen Weltordnung“ stehen will. So zeigen etwa jüngste Recherchen der britischen „Financial Times“, dass offenbar nicht nur China Russland im Krieg gegen die Ukraine mit Mikroelektronik für Waffen eindeckt.

Aktie.
Die mobile Version verlassen