Sandra Maischberger sorgt sich um Deutschland. Im Interview mit t-online spricht sie über die großen Themen unserer Zeit: das Lügen, die neue Rechte und Russland.

Eigentlich soll es um ihren neuen Film „Riefenstahl“ gehen. Sandra Maischberger hat als erste Journalistin Deutschlands Zugang zum Privatarchiv der NS-Regisseurin erhalten – und daraus einen erschütternden wie aufsehenerregenden Film produziert. Doch schnell zieht die 58-jährige ARD-Moderatorin Parallelen zur Gegenwart und formuliert dabei nicht nur ihre Sorgen, sondern auch Lösungsansätze für die Zukunft.

t-online: Frau Maischberger, wann hat zuletzt jemand für Sie eine sprichwörtliche Schallplatte aufgelegt? Also eine, bei der eine längst bekannte Botschaft gebetsmühlenartig wiederholt wird.

Sandra Maischberger: Ich erlebe das tatsächlich sehr häufig, gerade in politischen Interviews.

Weil politische Kommunikation genau so funktioniert: Eine Botschaft so oft zu wiederholen, dass sie am Ende verfängt.

Und bei eher persönlichen Interviews?

Auch da passiert es, dass jemand Geschichten aus der Biografie hochholt, die er schon häufig erzählt hat. Ich erwische mich selbst dabei, dass ich die einmal gefundene Antwort gebe und mich nicht um Varianz bemühe, wenn ich über mich selbst rede.

Sie haben einen Film über Leni Riefenstahl produziert. Was macht ihre Schallplatte so besonders?

Das ist ein sehr spezieller Sound, bei dem man ganz genau hinhören muss, denn eines ist klar: Die Platte war voll mit Fake News.

Frau Riefenstahl behauptete unter anderem vehement, nichts vom Holocaust gewusst zu haben. Bei ihr nahm das pathologische Züge an: Sie redete sich ihre eigene Wahrheit offenbar ein.

Das ist genau der Punkt. Riefenstahl fing ab 1945 an, ihre Schallplatte zu pressen. Ab dem Zeitpunkt, wo sie gegenüber den Alliierten im Verhör eine Version der Geschichte erzählen musste, die sie auf keinen Fall ins Gefängnis bringen durfte. Da hat sie angefangen, eine Version ihrer Geschichte zu stricken und dann auch wiederzugeben, die sich im Laufe der Jahre verfeinert und verfestigt hat und dann eben auch unverrückbar zu ihrer Realität geworden ist.



Aber dieses Erlebnis hat mich journalistisch geprägt: Spätestens seitdem bin ich für das Lügen sensibilisiert.


sandra maischberger


Und die natürlich aus einer mindestens geschönten Version der wahren Geschichte entstand.

Absolut. Bei ihr wurde das über die Jahre immer schlimmer. Vermutlich aus dem einfachen Grund, dass sie am Ende Teile ihrer Geschichte für wahr gehalten hat.

Das Ergebnis jahrzehntelanger, hartnäckiger Realitätsverweigerung?

Wenn man eine Lüge oft genug wiederholt, dann wird sie irgendwann zur Wahrheit. Das ist bestimmt auch ein Teil dessen gewesen, was mir als Interviewerin damals begegnet ist.

Sie haben Frau Riefenstahl im Jahr 2002 in ihrem Haus in Pöcking am Starnberger See besucht und sie interviewt. Sie war damals fast 100 Jahre alt.

Ich wusste zu der Zeit nicht genau, ob sie mich anlügt oder ob sie sich schon so lange selbst belogen hat, dass sie glaubt, was sie sagt. Aber dieses Erlebnis hat mich journalistisch geprägt: Spätestens seitdem bin ich für das Lügen sensibilisiert. Im politischen Gespräch weiß man es ja häufig, wenn jemand Fakten verdreht. Aber man kann es auch merken, an der Körperhaltung, an der Mimik, an Formulierungen, manchmal auch an der Unsicherheit, dass jemand das, was passiert ist, so nicht sagen möchte.

1937: Adolf Hitler besucht Leni Riefenstahl in ihrer Villa in Berlin-Dahlem. In „Riefenstahl“ sind bisher unveröffentlichte Aufnahmen aus dem Privatarchiv der NS-Regisseurin zu sehen. (Quelle: majestic.de)

In welchen Situationen fällt Ihnen besonders auf, dass das Lügen funktioniert, weil sich Versatzstücke davon in den Köpfen der Menschen festsetzen?

Etwa wenn der Sprecher des russischen Präsidenten sagt, sie hätten die Ukraine nicht überfallen. Das ist ein Narrativ, das in Russland gegenüber der russischen Bevölkerung so oft wiederholt wurde, dass es sich verfestigt – zum Teil mit haarsträubend gefakten Belegen. Aber die Menschen glauben es, weil es oft genug und als einzige Wahrheit dargestellt wurde. Und dann wiederholen sie diese Lüge ganz selbstverständlich. Von außen betrachtet erscheint es unglaublich, weil man sich gar nicht vorstellen kann, dass jemand so unverfroren gegen alle objektive Wahrheit lügt und trotzdem dabei bleibt.

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