Kurz vor der Abstimmung
„Grob sozialstaatswidrig“: Experten kritisieren Aktivrente
Aktualisiert am 03.12.2025 – 09:15 UhrLesedauer: 4 Min.
Im Trubel um das stabile Rentenniveau geht ein weiterer Rentenplan fast unter: Auch die Aktivrente biegt auf die Zielgerade ein. Doch Experten haben Bedenken.
Während Wirtschaftsvertreter in der steuerlichen Entlastung für ältere Beschäftigte eine Chance sahen, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen, warnten die befragten Forscher vor unsicheren Effekten, hohen Kosten und möglichen verfassungsrechtlichen Problemen.
So verwies die Wirtschaftswissenschaftlerin Tabea Bucher-Koenen von der Uni Mannheim darauf, dass die Gesamtwirkung der Aktivrente schwer abzuschätzen sei. Zwar könne sie einen positiven Impuls setzen und ein Signal senden, dass es wichtig sei, sich möglichst lange am Arbeitsmarkt zu beteiligen. Andere Maßnahmen seien jedoch besser geeignet, um das Potenzial bei älteren Beschäftigten zu heben. Ausdrücklich nannte sie ein höheres Renteneintrittsalter und ein Ende der Regeln zur Frührente. Dazu zählt etwa die abschlagsfreie vorzeitige Rente nach 45 Beitragsjahren.
Auch der Arbeitsmarktforscher Enzo Weber betonte, dass finanzielle Anreize grundsätzlich wirken könnten. Gleichzeitig sei jedoch mit „relativ hohen Mitnahmeeffekten“ zu rechnen: Viele Menschen, die ohnehin weiterarbeiten, würden den steuerfreien Freibetrag zusätzlich nutzen. Weber bezifferte die jährlichen Mitnahmeeffekte auf rund 2,2 Milliarden Euro.
Damit sich die Maßnahme für den Staat rechne, müsste die Zahl älterer Beschäftigter deutlich steigen – um mehr als 100.000 Personen. Eine Befragung habe hingegen ein Potenzial von lediglich 25.000 bis 33.000 zusätzlichen Vollzeitäquivalenten ermittelt.
Mehrere Sachverständige betonten, dass finanzielle Anreize allein nicht ausreichten, um das Potenzial älterer Erwerbstätiger zu heben. Der größte Hebel liege in besseren Arbeitsbedingungen, flexibleren Vertragsstrukturen und einer Arbeitskultur, die gesundes Arbeiten bis zur Regelaltersgrenze ermögliche. Besonders Menschen in belastenden Berufen hätten oft gar nicht die Möglichkeit, länger zu arbeiten.
Der Soziologe Martin Brussig von der Uni Duisburg-Essen verwies darauf, dass der starke Anstieg der Erwerbsquote Älterer in den vergangenen Jahren vor allem auf rentenrechtliche Reformen und demografische Entwicklungen zurückgehe und nicht auf steuerliche Anreize. Wer in Rente weiterarbeite, tue dies zudem häufig aus sozialen oder persönlichen Motiven: Spaß an der Arbeit, Weitergabe von Erfahrung, passende Arbeitsumgebung. Einkommen spiele zwar eine Rolle, sei aber selten ausschlaggebend.
