In Gaza leidet vor allem die Zivilbevölkerung unter dem Krieg. Wie geht es den Menschen dort? Ein Interview mit einem palästinensischen Friedensaktivisten.

Je länger der Krieg im Gazastreifen dauert, desto stärker leidet die Zivilbevölkerung. Mehr als sechs Monate sind seit dem Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel vergangen – und mittlerweile leiden vor allem Zivilistinnen und Zivilisten in Gaza unter den anhaltenden Bombardements und dem Hunger.

Doch es gibt auch Hoffnung. Palästinenser und Israelis setzen sich sowohl in Israel als auch in Deutschland für ein geregeltes Zusammenleben im Nahen Osten ein. Einer von ihnen ist Jules el-Khatib aus Dortmund. Der Deutsch-Palästinenser hat Familie im Gazastreifen und engagiert sich als Friedensaktivist. Mit t-online hat er über das Leid der Menschen in Gaza und mögliche politische Konsequenzen aus dem Krieg gesprochen – und darüber, was er vom Apartheidsvorwurf im Gedicht des Kabarettisten Didi Hallervorden hält.

t-online: Herr el-Khatib, Sie haben Familie im Gazastreifen und in Israel. Wie geht es Ihnen nach mehr als einem halben Jahr Krieg?

Jules el-Khatib: Schlecht. Ich wache jeden Morgen auf und weiß nicht, ob der Krieg noch mal eskaliert ist oder wieder jemand aus der eigenen Familie getötet wurde. Auch Freundinnen und Freunde aus der palästinensischen Community verlieren oft Menschen, denen sie nahestehen. Ich wünschte, dieser Irrsinn wäre endlich vorbei.

Wen haben Sie persönlich verloren?

Meine Familie kommt aus einem kleinen Dorf, das in der Nakba – also der großen Katastrophe der Palästinenser, die einherging mit Flucht, Tod und Vertreibung von Hunderttausenden Palästinensern im Jahr 1948 – zerstört wurde. Mein Großvater ist als Einziger aus der Familie in den Norden Israels geflohen. Seine Geschwister sind in den heutigen Gazastreifen geflüchtet. Das sind also fast alle Cousins und Cousinen meines Vaters samt ihren Kindern, die im Gazastreifen leben oder gelebt haben. Bei einigen wissen wir, dass sie getötet wurden, andere sind derzeit vermisst. Ich muss leider davon ausgehen, dass Menschen, die seit Wochen und Monaten vermisst werden, nicht mehr am Leben sind.

Was bekommen Sie aktuell von der Lage in Gaza mit?

Ich habe derzeit nur wenig Kontakt in den Gazastreifen. Das liegt vor allem daran, dass die Telekommunikationsanlagen zerstört wurden. Am Dienstag wurde einer der letzten Orte bombardiert, in denen es noch Netz gab. Nur im Süden gibt es ein unregelmäßiges Mobilfunknetz, dass bedeutet wir haben nur sehr unregelmäßigen Kontakt in den Gazastreifen.

Haben die Menschen denn wenigstens Zugang zum Internet, wenn es mal Empfang gibt?

Nur selten, denn um Handys zum Laufen zu bringen, braucht es Strom. Und außerdem Geld, um SIM-Karten zu kaufen oder diese mit Guthaben aufzuladen. Beides ist schwierig. Hinzu kommt, dass man derzeit kein Geld auf herkömmlichem Wege aus Deutschland nach Gaza schicken kann, man muss dazu den Umweg über das Westjordanland nehmen. Oder man schickt es über Ägypten nach Palästina.

Aber ab und an scheint Kontakt möglich zu sein.

Von Zeit zu Zeit geht das schon. Dann hören wir, dass neben den Bombardierungen vor allem der Hunger schlimmer geworden ist. Die Menschen stehen für eine Portion Essen in langen Schlangen an, die bei uns für etwa einen Tag reichen würde – mit der sie aber drei Tage auskommen müssen. Daraus folgt: Eltern hungern, damit ihre Kinder nicht verhungern.

(Quelle: privat)

Zur Person

Jules el-Khatib ist Soziologe und arbeitet als Hochschuldozent in Dortmund. Er hat deutsche sowie palästinensische Wurzeln. Er hält Vorträge und setzt sich außerdem in den sozialen Netzwerken für Frieden im Nahen Osten ein.

Welche Probleme gibt es abgesehen vom fehlenden Essen?

Medikamente sind kaum vorhanden. Eine Freundin hat mir erzählt, dass ihre Oma sehr krank ist. Sie hat seit drei Monaten keine Medizin mehr bekommen. Insbesondere im hohen Alter kann die fehlende Medizin schlimmste Konsequenzen haben.

Trotz dieser Berichte aus Gaza gibt es auch Bilder, wie sich Menschen am Strand aufhalten und schwimmen oder Fußball spielen. Ist die Situation angesichts dieser Bilder wirklich so schlimm?

Das ist doch absurd! Der Vorwurf, das sei doch alles nicht so schlimm, trägt kein bisschen. Zum Vergleich: Auch in der Ukraine gibt es Menschen, die feiern. Wenn man ein Trauma erlebt, ist es aus psychologischer Sicht sinnvoll, dass man versucht, sich davon zu befreien oder zumindest abzulenken. Die Menschen in Gaza können nicht weg. Sie können nicht in ein Café gehen und eine Pfeife rauchen. Sie können erst recht keinen Urlaub machen. Ihnen bleibt nur das Meer. Und dann empören sich Leute, dass die Menschen in Gaza sagen, sie wollen bei gutem Wetter am Strand entlanglaufen.

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