Drei Adoptivkinder klagen gegen den Drogerie-Unternehmer Müller. Sie fordern ihr Pflichtteil beim Erbe, obwohl sie vertraglich darauf verzichtet haben. So stehen ihre Chancen.

Vor dem Landgericht Ulm hat am Montag der Prozess zwischen dem Drogerie-Unternehmer Erwin Müller und seiner Ehefrau Anita Müller einerseits und ihren drei erwachsenen Adoptivkindern andererseits begonnen. Die drei Kinder fordern ihren Pflichtteil am Erbe und klagen deshalb gegen ihre Adoptiveltern. Medienberichten zufolge soll es um 500 Millionen Euro gehen.

t-online erläutert, worum es in dem Gerichtsprozess geht, wie es das deutsche Erbrecht vorsieht und unter welchen Umständen ein Pflichtteilsverzicht vertraglich zulässig ist.

Adoptivkinder wollen Gerechtigkeit

Nach Angaben des Ulmer Landgerichts geht es um einen 2015 unterschriebenen Vertrag, in dem die drei erwachsenen Adoptierten auf ihren Pflichtteil verzichtet haben. „Wir greifen den Pflichtteilverzichtsvertrag an, weil wir ihn für sittenwidrig und formnichtig halten“, erklärte Maximilian Ott, Anwalt der Adoptierten.

Das Verhältnis zwischen Erwin Müller und seinen Adoptivkindern sei sehr innig gewesen, schildern nach einem Bericht von „tagesschau.de“ die Kläger vor Gericht. „Es soll euch an nichts fehlen. Geld spielt keine Rolle“, soll der Drogeriemarkt-Milliardär gesagt haben. Sie müssten jedoch, um die Firma zu schützen, auf ihren Pflichtteil am Erbe verzichten.

Später seien die vielen versprochenen Schenkungen ausgeblieben, heißt es auf „tageschau.de“ weiter. „Wir haben das Gefühl, benutzt worden zu sein“, erklärte ein Adoptivsohn vor Gericht. Er habe damals den Vertrag mit dem Erbverzicht unterschrieben, ohne wirklich zu wissen, was er bedeutet. Nun wollten er, seine Frau und sein Bruder, die im Prozess als Kläger auftreten, Gerechtigkeit.

Pflichtteilsansprüche im deutschen Erbrecht

Der Pflichtteilsanspruch auf ein Erbe hat laut Gesetzgeber Verfassungsrang. Gesetze mit Verfassungsrang haben eine sehr hohe Bestandskraft, da sie nur mit einer Zweidrittelmehrheit der Abgeordneten im Bundestag aufgehoben oder geändert werden können.

Fälle für einen Verzicht auf den Pflichtteil beim Erbe

In der Klage der Adoptivkinder gegen Erwin Müller erkennt das Gericht jedoch die Möglichkeit an, dass der Vertrag zwischen den Parteien rechtmäßig zustande gekommen ist. Die Rechtsprechung sieht vor, dass es unter bestimmten familiären, rechtlichen und wirtschaftlichen Familienkonstellationen möglich ist, einen Pflichtteilsverzicht vertraglich zu vereinbaren.

  • Ist das Vertrauensverhältnis zu den Kindern gestört und soll ein Erbstreit verhindert werden, kann der Erblasser gegen Zahlung einer Abfindung die Pflichtteilsberechtigten enterben.
  • Haben die Kinder bereits zu Lebzeiten beispielsweise durch großzügige Schenkungen ihr „Erbe“ erhalten, kann der Verzicht auf den Pflichtteil beim Erbe bereits vor dem Tod des Erblassers geregelt werden. Dabei werden alle Zuwendungen auf den möglichen Pflichtteil angerechnet.
  • Beim Berliner Testament setzen sich Eheleute für den Erbfall gegenseitig ein. Sollte der Nachlass hauptsächlich aus unbeweglichen Gütern wie Grundstücken oder Gebäuden bestehen, könnte das für die Witwe schwerwiegende Folgen haben, wenn nicht genügend ausreichende Liquidität vorhanden ist, um die Pflichtteilsansprüche zu erfüllen.
  • Ein wichtiger Aspekt für eine mögliche Verzichtserklärung auf den Pflichtteil beim Erbe könnte auch sein, dass ein Unternehmen bei der erfolgreichen Fortführung seiner Geschäfte gefährdet ist. Mit dem Verzicht soll ein nachhaltiger Geschäftserfolg abgesichert werden.

Grundsätzlich gilt: Ein Pflichtteilsverzicht muss zwischen dem Erblasser und den pflichtteilsberechtigten Erben zu Lebzeiten beider Parteien vertraglich vereinbart werden. In der Regel wird eine Abfindung als Gegenleistung vereinbart. Der Vertrag muss zudem notariell beurkundet werden.

Enterbte haben das Recht, einen solchen Vertrag wegen Irrtums, arglistiger Täuschung oder Drohung anzufechten. Darüber hinaus kann ein Pflichtteilsverzicht wegen Sittenwidrigkeit nichtig sein. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn der Erblasser eine Zwangslage oder die Unerfahrenheit der Erben, die auf ihren Pflichtteil verzichten, ausnutzt. Steht die Abfindung in einem krassen Missverhältnis zum Verzicht, kann der Vertrag ebenfalls nichtig sein.

Gericht sieht geringe Erfolgsaussichten

Nach Auffassung des Gerichts hat die Klage der Adoptivkinder, die alle drei mindestens um die 60 Jahre alt sind, wenig Aussicht auf Erfolg. Die Kammer ging in ihrer vorläufigen Rechtsauffassung am Montagabend nicht davon aus, dass der Pflichtteilsverzichtsvertrag formnichtig oder sittenwidrig ist.

Nach jüngsten Schätzungen des „Manager-Magazins“ hat Erwin Müller ein Vermögen von rund 1,3 Milliarden Euro. Ein Urteil in dem Fall könnte am 29. Juli verkündet werden.

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