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Seit mehr als 100 Jahren ist Abtreibung nach deutschem Gesetz eine Straftat – doch gerade ist „die Gelegenheit für einen historischen Moment“, sagt eine Ärztin im Interview.

Es ist nach wie vor eines der sensibelsten und kontroversesten Themen: Schwangerschaftsabbrüche und die Diskussion um den Paragrafen 218 des deutschen Strafgesetzbuches. Während Befürworter die bestehende Gesetzeslage als Schutz für ungeborenes Leben verteidigen, argumentieren Kritiker, dass sie die reproduktiven Rechte von Frauen einschränkt und eine unzumutbare Belastung für Betroffene darstellt.

Neu entfacht wurde die Debatte durch einen fraktionsübergreifenden Gesetzesentwurf, nach dem Schwangerschaftsabbrüche nicht mehr strafbar sein sollen. Im Interview mit t-online erklärt die Ärztin und Aktivistin Alicia Baier, welche Hürden Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch in Betracht ziehen, noch immer bewältigen müssen – und warum der Gesetzesentwurf doch noch scheitern könnte.

t-online: Frau Baier, warum wird in Deutschland um Schwangerschaftsabbrüche schon so lange so heftig gestritten?

Alicia Baier: Die Debatte hierzulande ist emotional und moralisch aufgeladen. Der Einfluss der katholischen Kirche ist immer noch sehr groß und christliche Parteien wie die CDU/CSU blockieren immer wieder Fortschritte bei dem Thema. Da kommt die sachliche Aufklärung leider viel zu kurz. Und es gibt immer noch viele Vorurteile gegenüber Abtreibungen – in der Gesellschaft und auch in der Medizin. Manche werden von Abtreibungsgegnern auch bewusst in Umlauf gebracht.

Es wird erzählt, Abtreibungen seien gefährlich oder, dass alle Frauen es danach bereuen würden. Doch es gibt genug Belege, dass das nicht stimmt.

(Quelle: Doctors for Choice Germany)

Dr. Alicia Baier ist Ärztin, Mitbegründerin und Vorstandsmitglied von „Doctors for Choice Germany“, einem Netzwerk von Medizinern und Hebammen, die sich für einen selbstbestimmten Umgang mit Sexualität, Fortpflanzung und Familienplanung einsetzen. Sie kämpft insbesondere dafür, Mythen und Vorurteile rund um Schwangerschaftsabbrüche abzubauen und betreibt eine faktenbasierte Aufklärung.

Sie setzen sich seit Jahren für das Recht auf Abtreibung ein. Nun könnten Schwangerschaftsabbrüche legal werden. Ein überfälliger Schritt?

Gerade ist die Gelegenheit für einen historischen Moment. Es hat sich in den letzten Jahren unheimlich viel bewegt. 2022 wurde Paragraf 219a – das Informationsverbot für Schwangerschaftsabbrüche – abgeschafft, vor Kurzem wurden auch sogenannte „Gehsteigbelästigungen“ verboten. Damit sollen Schwangere besser vor Übergriffen durch Abtreibungsgegner geschützt werden. Was noch fehlt, ist jetzt die Abschaffung des Paragrafen 218. Wir haben den Gesetzesentwurf, aber beschlossen ist er noch lange nicht.

(Quelle: Bernd Weißbrod/dpa)

Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland durch den Paragrafen 218 im Strafgesetzbuch geregelt. Laut aktueller Rechtslage steht ein Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich unter Strafe – ist aber in den ersten zwölf Wochen straffrei, wenn Frauen sich vorher beraten lassen und zwischen der Beratung und dem Schwangerschaftsabbruch drei Tage vergehen. Krankenkassen übernehmen die Leistung nicht.

Was könnte noch dazwischenkommen?

Der Entwurf befindet sich jetzt erst mal im Rechtsausschuss. Die große Sorge ist, dass er dort nicht mehr herauskommt und versauert. Parteien wie die CDU, AfD und FDP könnten verhindern, dass überhaupt abgestimmt wird. Insbesondere die CDU will die Entscheidung herauszögern. Sie wollen, dass es in dieser Legislatur nicht mehr dazu kommt. Aber auch die FDP blockiert. Und vermutlich ist der nächste Bundestag sehr viel konservativer aufgestellt.

Die FDP führt an, die bisherige Regelung habe funktioniert: In den ersten zwölf Wochen ist der Abbruch zwar illegal, wird aber nicht geahndet. Was entgegnen sie ihr?

Dass ungewollt Schwangeren vermittelt wird, dass sie eine Straftat begehen. Das kann zu Schuldgefühlen führen. Es ist der einzige medizinische Eingriff, der im Strafgesetzbuch geregelt ist, und damit überhaupt nichts zu tun haben sollte. Auch die dreitägige Wartezeit und die verpflichtende Beratung sind eine Belastung für Betroffene. Sie führen zu Verzögerungen in der Versorgung. Selbst die Weltgesundheitsorganisation WHO sagt, dass diese Beratungspflicht kostbare Zeit kostet und dazu führen kann, dass der Abbruch am Ende später stattfindet.

Ein neuer, fraktionsübergreifender Gesetzentwurf sieht vor, dass Abtreibungen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche grundsätzlich nicht mehr strafbar sind. Die Beratungspflicht soll bestehen bleiben, aber die derzeit verpflichtende dreitägige Wartezeit zwischen Beratung und Abtreibung soll gestrichen werden. Zudem ist geplant, dass die Kosten für Abtreibungen vollständig von den Krankenkassen übernommen werden. Ob der Gesetzentwurf beschlossen wird, ist noch offen.

Eine Legalisierung könnte aber verfassungswidrig sein. Das Bundesverfassungsgericht hat 1993 entschieden, dass auch das ungeborene Leben zu schützen sei. Wie ist der Schutz des ungeborenen Lebens denn zu gewährleisten?

Durch das Strafrecht verhindert man keine Abbrüche. Das ungeborene Leben kann man viel wirksamer schützen, und zwar ohne damit der Schwangeren zu schaden: durch einen guten Zugang zu Verhütungsmitteln und mehr Unterstützung für Eltern. Verhütung durch die Krankenkassen zu finanzieren, ausreichend und bezahlbare Kitaplätze und mehr Möglichkeiten für Frauen, Familie und Beruf zu verbinden, wären wirksame Maßnahmen, um Abbrüche zu verhindern.

Welche Folgen hätte eine Entkriminalisierung für betroffene Frauen?

Die starke Stigmatisierung für Betroffene und auch für uns Ärzte fiele weg. Und für Abbrüche würde die Krankenkasse einspringen. Denn ein Abbruch kostet 300 bis 600 Euro – je nach Methode. Und nur mit niedrigem Einkommen kann eine Kostenübernahme beantragt werden. Auch das sind unnötige, bürokratische Schritte, die den Eingriff verzögern. Die Abschaffung des Gesetzes würde eine große Verbesserung bedeuten, aber nicht alle Probleme lösen. Dennoch: Abtreibungen müssen als das gesehen werden, was sie sind, nämlich ganz normale medizinische Leistungen.

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